© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Das Frauenhaus ist für Frauen Zuflucht, die – teilweise auch mit Kindern – Schutz vor einem gewalttätigen Partner suchen. Doch wohin dann, wenn die akute Bedrohung vorbei ist? Wohnraum ist begrenzt, die Suche nach bezahlbarem Wohnraum kann dauern. Im „zweiten Marburger Aktionsplan“ gibt es dafür einen konkreten Vorschlag: Die Stadt Marburg will gemeinsam mit dem Landkreis, den Wohnungsbaugesellschaften und dem Verein „Frauen helfen Frauen“ den Frauen im Frauenhaus bei der Wohnungssuche helfen. Wie gut das gelingt ist messbar: Über die Zahl der Frauen, die im Frauenhaus Schutz finden, über deren Verweildauer im Frauenhaus und den Erfolg bei der Wohnungssuche.
Von Gewalt betroffen sind auch Jungen und Männer mit Behinderungen – stärker, als Männer der Durchschnittsbevölkerung in Deutschland. In der „Männerrunde“, einem Selbstbehauptungstraining der „AG Freizeit“ lernen sie, ihre Rechte und Grenzen zu kennen und durchzusetzen. Der Aktionsplan sieht vor, das Angebot mit 6000 Euro im Jahr langfristig zu sichern und auszubauen.
„Gleichstellung ist ein wichtiges und zentrales Thema“, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Es gehe um gleiche Bezahlung, um Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen des Lebens. „Die Umsetzung von Gleichstellung braucht auch viele kleine Schritte, die wir hier vor Ort gehen können. Der zweite Marburger Aktionsplan zur EU-Charta für die Gleichstellung von Mann und Frau auf lokaler Ebene‘ listet wichtige Themenbereiche auf, in denen wir gemeinsam mit verschiedenen Vereinen, Institutionen und engagierten Einzelpersonen bis 2021 an der Gleichstellung arbeiten wollen – mit konkreten, realistischen und zielgerichteten Maßnahmen.“
Insgesamt 32 Maßnahmen will die Stadt gemeinsam mit verschiedenen Akteuren in den nächsten beiden Jahren umsetzen, um die Gleichberechtigung in unterschiedlichen Bereichen des Alltagslebens weiter zu verbessern. „Mit dem ersten Aktionsplan, den wir 2017 beschlossen haben, waren wir bereits sehr erfolgreich“, so Spies. Der zweite Marburger Aktionsplan sei daher wieder so strukturiert, knüpfe an Maßnahmen des ersten Planes an und biete genaue Handlungsaufgaben mit messbaren Zielen für die nächsten zwei Jahre. „Das ist eine beispielgebende Arbeit vom Referat für die Gleichstellung von Frau und Mann.“
Ein Schwerpunkt liegt im zweiten Aktionsplan auch weiterhin auf dem Engagement gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Damit setzt die Stadt Marburg die seit 1. Februar 2018 in Deutschland als Bundesgesetz geltende Istanbul-Konvention des Europarates um. Diese verpflichtet Staaten dazu, alle Frauen umfassend vor geschlechterspezifischer und häuslicher Gewalt zu schützen. „Noch in diesem Jahr werden wir mit dem Projekt Marburg ohne Partnergewalt‘ starten“, nennt OB Spies eine von mehreren Maßnahmen. Dieses Projekt läuft zwei Jahre und wird zusammen mit dem Verein „Frauen helfen Frauen“ und der „Juko Marburg“ durchgeführt. „Die EU fördert das mit 340.000 Euro. Die Zusage hat uns heute erreicht“, so der Kämmerer. Weitere Projekte zielen darauf, Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution zu unterstützen und die medizinische Soforthilfe nach einer Vergewaltigung inklusiv weiterzuentwickeln.
Anknüpfend an die Ergebnisse der Befragung von pflegenden Angehörigen beziehen sich einige Maßnahmen auf die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Die weiteren Themenbereiche sind: Haushalt fair-teilen, Erwerbsbeteiligung, geschlechterspezifische Medizin und Versorgung, Geschlechterarbeit mit Jungen, Umsetzung der Istanbul-Konvention, Unterstützung für alleinerziehende Menschen, politische Beteiligung, Stadt als Arbeitgeberin und Teilhabe von Frauen und Mädchen mit Beeinträchtigungen.
Abschlussbericht zum Ersten Marburger Aktionsplan liegt vor
„Der Erste Marburger Aktionsplan hat sichtbar gemacht, wie vielfältig sich Institutionen, Vereine, städtische Fachdienste und Einzelpersonen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung einsetzen“, so Dr, Christine Amend-Wegmann, Leiterin der des Gleichstellungsreferats. Die Umsetzung der bisherigen Maßnahmen aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie dem städtischen Haushalt, der Jugendförderung, der Gemeinwesenarbeit bis hin zu geschlechtsspezifischer Gewalt oder auch Aspekte der Gesundheitsversorgung hat aber auch gezeigt, dass in all diesen Feldern noch viel zu tun bleibt. „Es hat sich bestätigt, dass Gleichstellungsarbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird, die nur mit vereinten Kräften gelingt. Hierfür hat sich die EU-Charta mit ihren Aktionsplänen als ein sehr gutes Instrument erwiesen“, sagt Amend-Wegmann.
Hintergrund
Die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene wurde 2014 von der Universitätsstadt Marburg unterschrieben. Sie ist im Jahr 2006 unter der Schirmherrschaft des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) entstanden. Die EU-Charta bekennt sich klar dazu, dass die Gleichberechtigung aller Menschen die Voraussetzung für Freiheit, Gleichheit und Solidarität in einer Gesellschaft ist. Sie dient dazu, fortlaufend und strukturiert für Chancengleichheit zu arbeiten.
Der Erste Marburger Aktionsplan für die EU-Charta wurde im März 2017 von der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg einstimmig verabschiedet. Seine insgesamt 41 Maßnahmen in sechs Schwerpunkten wurden bis März 2019 umgesetzt. Den zweiten Aktionsplan hat das Gleichberechtigungsreferat von Februar bis Juni 2019 zusammen mit vielen Beteiligten aus Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft erarbeitet. Seitens politischer Gremien wurden auch der Ausländerbeirat, der Behindertenbeirat und die Gleichstellungskommission beteiligt.