„Die Verfolgung und Entrechtung der Sinti und Roma hat eine Jahrhunderte lange Tradition, die ihre traurige Spitze in den Verbrechen des Nationalsozialismus fand“, erklärte Spies bei der Gedenkveranstaltung vor dem ehemaligen Landratsamt in der Barfüßerstraße.
Von dort aus wurden am 23. März 1943 78 Sinti mit Gewehren und Hunden zum Bahnhof getrieben und ins KZ Auschwitz deportiert. „Nicht heimlich, sondern in aller Öffentlichkeit und mit dem Vorsatz der Ermordung“, machte Rinaldo Strauß, stellvertretender Geschäftsführer des Landesverbandes der Sinti und Roma Hessen deutlich. Sein Vater, so berichtete er, war einer der 78. „1945 wurde er aus dem KZ befreit und kehrte in seine Heimat zurück“, so Strauß.
Nach Kriegsende habe es lange keine „Wiedergutmachung oder zumindest Anerkennung“ für das Leiden der Sinti und Roma im Nationalsozialismus gegeben. Erst 1982 wurde den Opfern durch Bundeskanzler Helmut Schmidt eine öffentliche Anerkennung zuteil. „Es bedurfte und bedarf des starken bürgerschaftlichen Engagements der Sinti und Roma, um Aufmerksamkeit für dieses unfassbare Leid zu schaffen“, erinnerte Strauß. Heute erinnern am Marburger Hauptbahnhof Gedenkbänder mit den 78 Namen der Deportierten an den Gleisen 5 und 8 an das Unrecht.
„Rassistische Vorurteile und Antiziganismus halten sich leider bis heute“, erklärte auch Oberbürgermeister Spies. Gerade in Zeiten, in denen Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile sich wieder öffentlich hervortrauen, sei es wichtig, Widerstand zu leisten. „Den Opfern gedenken und den heute Lebenden Solidarität zeigen, das bleibt unsere Aufgabe“, so Spies.
Dr. Udo Engbring-Romang berichtete in Stellvertretung für Professor Wilhelm Solms von dem Erfolg einer Benefizveranstaltung aus dem vergangenen Jahr: 2018 sollen 75 Jahre nach der Deportation ein bis zwei Jugendliche Sinti über ein Stipendium der Hildegard-Lagrenne-Stiftung gefördert werden.
Gemeinsam gedachten die rund 30 Anwesenden in einer Schweigeminuten den Opfern. Neben Bürgermeister Dr. Franz Kahle, ehrenamtlichen Magistratsmitgliedern, Kreistagsvorsitzendem Detlef Ruffert sowie Vertreterinnen und Vertretern der Stadtverordnetenversammlung nahmen auch Angehörige und Marburgs Ehrenbürgerin Schwester Edith an der Gedenkveranstaltung teil.