© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Es sieht fast aus wie eine Flechtarbeit – nur eben mit meterlangen Stahlstäben. Diese werden längs und quer auf die Segmentbögen der Weidenhäuser Brücke gelegt und miteinander verbunden. So entsteht Stück für Stück ein hoher Korb aus Stahlgeflecht, die sogenannte Bewehrung. Er ist teilweise mehrere Meter hoch. Sobald die Bauarbeiter diesen fertig haben, fahrend Betonmischer die Weidenhäuser Brücke an und befüllen die vorbereiteten Stahlgeflechte. So entsteht der Stahlbeton. Der soll die Statik der Brücke deutlich verbessern, damit auch in Zukunft Autos, Lastwagen und besetzte Busse die Weidenhäuser Brücke in der Stadtmitte überqueren können.
Bei der Bewehrung gehen die Arbeiter Stück für Stück vor. Zunächst haben sie mit dem Bogen an der Seite Richtung Erlenring begonnen. Dort wurde eine untere Schicht Stahlstäbe längs verlegt. Passgenau gefertigte Eisen zeigen an, wie hoch die Bewehrung aus Stahl reichen muss – in mehreren Schichten, immer wieder längs und quer in die Höhe. Alleine an diesem ersten Bogen werden 24 Tonnen Stahl verbaut. In dieser Woche beginnen die Arbeiten an der Stahlbewehrung des zweiten Bogens.
© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Daneben gibt es noch viele weitere unterschiedliche Arbeiten, die die verschiedenen Baufirmen parallel leisten: Die Vorbereitungen für den Anbau eines Fußgängerstegs laufen weiterhin. Aktuell wird das Widerlager an der Seite Erlenring eingebaut. Außerdem beginnen die Arbeiten für die Verlegung der Fernwärme- und Gasleitung entlang der Brücke über die Lahn. Und die Steinmetze sind ohnehin täglich auf der Baustelle beschäftigt. Sie haben nun die historischen Steine des ersten Bogens auf der Brückenseite Richtung Mensa entsalzt. Die dafür notwendigen Kompressen sind nun noch am zweiten und dritten Bogen an dieser Nordseite zu sehen.
Berechnung der Statik erfordert besondere Sorgfalt
Der dramatische Einsturz einer Brücke in Genua hat kürzlich wieder einmal gezeigt, wie wichtig es für die öffentliche Sicherheit ist, dass Verkehrswege – insbesondere Brückenbauwerke – regelmäßig sorgfältig überprüft werden. Die Stadt Marburg hat daher schon vor einigen Jahren die Weidenhäuser Brücke für alle Fahrzeuge gesperrt, die mehr als 30 Tonnen wiegen. Auch 2002 wurde die Brücke schon einmal statisch verbessert: Damals wurden die Pfeiler unter großem Aufwand in der Lahn trockengelegt und mit Beton verstärkt. Denn das Bauwerk aus dem Jahre 1891/92 war nicht für die heutigen Verkehrsbelastungen ausgelegt. Seither hat aber mit Tauwasser eindringendes Streusalz die Sandsteine, aus denen das Bauwerk besteht, weiter beschädigt. Die Stadt Marburg konnte die Standsicherheit der Brücke nicht mehr dauerhaft gewährleisten.
© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Statt für eine weitere Gewichtsbegrenzung entschied die Stadt sich für eine Sanierung der Weidenhäuser Brücke, die seit Februar 2018 läuft. Basierend auf den detaillierten Bauplänen und Bauzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert und auf Probebohrungen haben Fachleute die neuen Pläne für die derzeit laufende Sanierung erstellt. Allerdings kommt es bei Sanierungen im historischen Bestand fast immer zu Überraschungen – so auch bei der Weidenhäuser Brücke. Nachdem die Baufirma die Bögen freigelegt hatte, war schnell klar: Die Bögen sind in Form und Höhe anders als in den Bauplänen eingezeichnet. Von außen einseh- und erkennbar war dies nicht, da bislang Sand, Teer, Füllmaterial und Beton die Bögen verdeckten.
Die Unterschiede zwischen altem Plan und der Realität machten allerdings eine Neuberechnung der Statik notwendig. Auf Basis der neuen Statikberechnung lässt die Stadt derzeit von einem Fachbüro die Bewehrung neu berechnen. Die Stadt hat sich in Absprache mit dem beauftragten Büro dazu entschieden, die Statik Bogen für Bogen einzeln berechnen zu lassen. So können die Arbeiten am ersten Bogen schon weitergehen, während für den dritten Bogen noch gerechnet wird. Denn diese Berechnungen sind aufwändig, die Baupläne müssen händisch angepasst, die Standorte verschiedener Stahlstangen manuell gesetzt und die Menge des benötigten Stahls neu ermittelt werden. Denn die Arbeiter benötigen am Ende einen Plan, in dem genau verzeichnet ist, an welcher Stelle welches Eisen seinen Platz finden soll – und muss, damit die Statik stimmt. Ein Computerprogramm ist mit den unregelmäßigen, unterschiedlichen Bögen der Weidenhäuser Brücke überfordert.
Für den ersten Brückenbogen liegt die Berechnung bereits vor, weshalb die Arbeiten an der Bewehrung schon beginnen konnten. Ein Ergebnis der Berechnungen: Statt wie bislang geplant 17 Tonnen Stahl müssen nun 24 Tonnen Stahl verbaut werden – allein für den ersten Bogen. Dabei sind viele der Stahlelemente, die platziert werden, Maßanfertigungen: Sie werden in eine exakt berechnete Höhe und Lage auf der Brücke eingepasst, damit das Bauwerk am Ende wieder stabil und dauerhaft sicher für den Verkehr freigegeben werden kann.