© Stefanie Profus, i. A. d. Stadt Marburg
„Wir gedenken der Opfer von Hass und Gewalt: Millionen von Jüdinnen und Juden wurden industriell ermordet. Homosexuelle, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, Oppositionelle starben in den Folgen des 9. November. Wir gedenken ihnen. Wir wollen und wir werden sie nie vergessen“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies während der Besinnungsstunde an der Synagogengedenkstätte. „Dass wir uns heute an diesem Ort zusammenfinden, ist uns nicht nur bürgerliche Pflicht, sondern eine Frage des Anstands“, ergänzte Spies.
Für die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit betonte Dr. Klaus Dorn, dass Rassismus nirgends eine Alternative sein kann und Demonstrationen wie #wirstehenzusammen oder dieses Gedenken zum 9. November deutliche Zeichen setzen. An zivilgesellschaftliche Organisationen wie Kirchen, die Antifa und verschiedenste Initiativen richtete Dorn, dass die Gesellschaft sie brauche. „Wehren wir uns gemeinsam“ und „Sage nein“, als Liedzeile von Konstantin Wecker, gab Dorn den Anwesenden mit auf den Weg. Anschließend sprachen Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit ihrem Vorsitzenden und Marburgs Ehrenbürger Amnon Orbach, das Kaddisch als eines der wichtigsten jüdischen Gebete.
© Stefanie Profus, i. A. d. Stadt Marburg
Stille und Dunkelheit, doch auch vereinzelte Kerzen in den Händen von Menschen unterstrichen den Anlass der Zusammenkunft im Garten des Gedenkens. Etwa 200 Frauen, Männer und Kinder hatten sich an jenem Ort versammelt, an dem 1938 unaussprechliche Gewalt – von den eigenen Nachbar*innen – gegen jüdische Mitbürger*innen, deren Hab und Gut sowie deren Gotteshaus verübt wurde. Neben den Kerzen durchbrachen die zehn hell erleuchteten „Zettelkästen“ im Boden die Dunkelheit und sorgten mit erinnernden sowie mahnenden Zitaten für ein Gedenken der Opfer der Pogromnacht.
Die Mitglieder des Kinder- und Jugendparlaments (KiJuPa) Marburg stellten die Texte in den Zettelkästen vor. Denn für die Fortsetzung des Projektes „Zettelkästen“ hat sich in diesem Jahr das KiJuPa verpflichtet. Im September hatten die Mitglieder während ihrer Sitzung entschieden, bei der Gestaltung der Zettelkästen auf Zitate aus Kinder- und Jugendbüchern zurückzugreifen. Die anfängliche Suche nach passenden Zitaten gestaltete sich zunächst schwerer als vorher angenommen, berichtete Elias Hescher, Vorsitzender des Kinder- und Jugendparlaments und Schüler des Gymnasiums Philippinum. Schließlich sollte es sich „nicht um irgendwelche Zitate handeln, sondern mit einem Bezug zu Toleranz, Freundschaft und Weltoffenheit“, erläuterte er.
© Stefanie Profus, i. A. d. Stadt Marburg
Schlussendlich trugen die KiJuPa-Mitglieder mehr als 50 Zitate zusammen. Danach ging es ans Vorstellen, Diskutieren und Auswählen. Es wurde darüber diskutiert, was an den Zitaten gut oder weniger gut ist. „Nach drei Stunden mit anregenden Diskussionen, Moderationskarten in bunten Farben und Klebepunkten standen schließlich die zehn Zitate fest“, erklärten der neunjährige Konrad und der elfjährige Luca. Konrads ausgewähltes Zitat kam in die finale Auswahl und ist nun in einem der „Zettelkästen“ zu sehen. „Es freut mich besonders, dass mein Zitat vom kleinen Prinzen ausgewählt wurde, weil die Bedeutung so zutrifft: ‚Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.‘“, sagte der Neunjährige im Anschluss an die Besinnungsstunde, die er – wie viele der anderen Kinder und Jugendlichen des KiJuPa – gemeinsam mit seiner Familie besuchte.
Das Kunstprojekt besteht aus zehn Kästen mit Zitaten, die in der Grundfläche des Gebetsraumes der Synagoge eingelassen sind. Das Künstlerteam Oliver Gather und Christian Ahlborn hatte 2012 die Projektidee „Zettelkästen“ entwickelt, um einen Ort der Erinnerung und der Kommunikation zu schaffen. Auf den ersten Zetteln standen zehn Zitate aus Gesprächen mit überlebenden Bürger*innen der ehemaligen Jüdischen Gemeinde und deren Kindern. Ein Jahr später enthielten die Zettelkästen Texte von Schülerinnen der Elisabethschule, 2014 Texte aus der Jüdischen Gemeinde Marburg. Unter dem Motto „Gegen die Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen!“ standen die Zitate im Jahr 2015, erarbeitet von Studierenden des Katholisch-Theologischen Seminars Marburg.
Im darauffolgenden Jahr wurden in den Zettelkästen Zitate von Studierenden der Evangelischen Theologie ausgestellt. Im vergangenen Jahr beteiligte sich der Ausländerbeirat an der Aktion, um Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde in Marburg, aber auch die Sorge um das gute Zusammenleben in Deutschland zum Ausdruck zu bringen. Die Besinnungsstunde in diesem Jahr wurde erneut musikalisch begleitet durch Schüler*innen der Kirchhainer Alfred-Wegener-Schule. Im Anschluss an die Besinnungsstunde veranstaltete das Sinfonische Blasorchester des VfL Marburg ein Konzert im Technologie- und Tagungszentrum.