© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
„Demokratie lebt davon, dass wir sie selbst vorleben. Ihr habt das an eurer Schule gemacht und, wie ich gehört habe, manches Erlernte auch in euer Privatleben übernommen“, sagte Stadträtin Kirsten Dinnebier. „Damit seid ihr ein großes Vorbild, herzlichen Glückwunsch zu eurer Nominierung.“ Die Jugend- und Bildungsdezernentin sah sich gemeinsam mit Schüler*innen der Klasse und Lehrkräften die Eröffnungsveranstaltung der Online-Lernwerkstatt per Live-Übertragung im Stadtverordnetensitzungssaal an. Die „Lernstatt“ hätte für ausgewählte Bewerber*innen an dem Bundeswettbewerb „Demokratisch Handeln“ eigentlich in Berlin stattgefunden, musste jedoch aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Das Jenaer Projektteam hatte kurzfristig ein Konzept für die digitale „Lernstatt mit Abstand“ ausgearbeitet, sodass die Eröffnungsveranstaltung live aus Jena übertragen wurde.
© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
Auch die Lehrerin und Initiatorin der „Freitagskonferenz“ Gabriele Becker gratulierte den Schüler*innen zu ihrem Erfolg. „Trotz eurer anfänglichen Bedenken habt ihr euch getraut mitzumachen und wir hätten es, wenn Corona nicht wäre, bis nach Berlin geschafft.“ Eigentlich wollten sie einen Rap oder einen kleinen Film für den Workshop vorbereiten, berichtete Becker. Und dann reimte sie sogar ein paar Zeilen: „Probleme sind wie Äpfel, nicht nur rund; sie haben einen Kern und da liegt oft der Grund“. Der Apfel war ein Symbol in ihrer Arbeit mit den Schüler*innen, so Becker. Deshalb überreichte sie auch jedem Schüler zu der Urkunde von „Demokratisch handeln“ einen Apfel mit dazu. Auch der Schulleiter der ARS, Holger Leinweber, lobte die Schüler*innen: „Ihr habt etwas Beispielhaftes für die Schule geleistet“.
Leider haben es die Adolf-Reichwein-Schüler*innen nicht unter die Erstplatzierten des Wettbewerbs geschafft, erhielten aber eine besondere Anerkennung für ihre Teilnahme. Bemerkenswert ist auch, dass unter den Bewerbern und Nominierungen nicht viele andere Berufsschulen vertreten waren.
Die „Freitagskonferenz“
Verschiedene Probleme wie Sprachbarrieren oder schwelende Konflikte zu überwinden war ein Ziel der „Freitagskonferenz“, mit der sich die Berufsvorbereitungsklasse mit Förderschwerpunkt Deutsch beworben hatte. Immer freitags gehen sie systematisch einem Problem in der Klasse auf den Grund, um es gemeinsam zu lösen. Schwerwiegende Konflikte in der Klasse konnten damit gelöst werden und ein stabiles Miteinander habe sich entwickelt, berichteten sie. Dabei haben sie sich an der SMART-Methode orientiert. Die Buchstaben stehen für „spezifisch“, „machbar“, „akzeptabel“, „realistisch“ und „terminiert“. So fragten sie sich: „Was ist das Spezielle und Wichtigste an unserem Problem und wer ist davon betroffen? Was ist machbar, welche Lösungen sind für alle akzeptabel und realistisch umzusetzen? Und wann soll das Problem angegangen werden?“
Aufgrund verschiedener Sprachkenntnisse wählten die Schüler*innen häufig die bildliche Darstellung, um das Problem mit der Methode besprechen zu können. Im Laufe der Zeit übernahmen es einige Schüler*innen, für andere zu dolmetschen. Einige Schüler*innen handelten auf dem Schulhof in Konfliktsituationen deeskalierend und schlichteten, indem sie beispielsweise anderen Schüler*innen für klärende Gespräche zur Seite standen. Außerdem sei es vielen Jugendlichen der Gruppe nach einiger Zeit leichter gefallen, von sich aus Probleme oder schwierige Situationen anzusprechen beziehungsweise zu benennen.
Bundeswettbewerb „Demokratisch Handeln“
Im vergangenen Jahr hatte sich die Gruppe bei dem Bundeswettbewerb beworben, für den 330 Schulen, Kindertagesstätten und außerschulische Einrichtungen Beiträge eingereicht hatten. Aus diesen Beiträgen wählte eine 40-köpfige Jury insgesamt 67 Projekte aus, die nach Berlin eingeladen werden sollten. Die „Lernstatt“ mit Ausstellung der ausgezeichneten Projekte, Erfahrungsaustausch zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie die themenbezogenen Workshops fand nun stattdessen digital statt. Themen waren etwa „Gleichbehandlung vs. Ungleichbehandlung in Zeiten einer Pandemie“, „Seenotrettung“, „Sexismus im Alltag“ oder „Grundgesetz vs. Corona“.
Der Wettbewerb ist ein Förderprogramm für Jugend und Schule, um demokratische Haltung und Kultur im gelebten Alltag von Schule und Jugendarbeit zu stärken. Kinder und Jugendliche werden dazu aufgerufen, sich für die Demokratie zu engagieren. Stadträtin Dinnebier zeigte sich beeindruckt von den neun Jugendlichen, die trotz Zweifel und Ängsten all ihren Mut zusammengenommen hatten, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Denn einige Schüler*innen sorgten sich, ihre Sprachkenntnisse könnten nicht ausreichen. Sie sprachen beispielsweise mit ihrer Lehrerin darüber, die sie ermutigte, dass es nicht darauf ankomme, besonders gut deutsch zu sprechen, sondern dass es viel wichtiger sei, gleichberechtigt und demokratisch zu handeln.