© Stadt Marburg, i.A. Gesa Coordes
„Die zu finden, die Zuhause vereinsamen, ist eine der großen Herausforderungen“, betonte Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Er schilderte, wie bunt die Generation 60plus ist, zu der inzwischen auch die Alt-68er gehören. Beispiele für das städtische Engagement sind die im Jahr 2000 gegründete Fachstelle für Wohnberatung und das Beratungszentrum BiP, das 2010 eingerichtet wurde. Seit 2009 werden Seniorinnen und Senioren regelmäßig nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt. Daraus sind zahlreiche Nachbarschafts- und Beteiligungsprojekte entstanden. Die Befragungen sind auch in das Konzept eingeflossen. Nun gehe es darum, in dem breiten Bündel von klugen Vorschlägen Prioritäten zu setzen, so Spies. Der demographische Wandel bringe den Menschen mehr Lebensjahre: „Wir wollen, dass es mehr gute Jahre für alle sind“, sagte der Oberbürgermeister bei der Eröffnung des Stadtforums.
Nach Spies sprach die Hauptrednerin des Abends. „Männer werden älter, Frauen werden alt gemacht“, sagte die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, die das Buch „Mutprobe Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“ geschrieben hat. Die 64-Jährige treibt die „unglaublich negative Beurteilung der weiblichen Lebensjahre“ um. Schon 17-Jährige nähmen Anti-Aging-Produkte, 20-Jährige Anti-Falten-Cremes und mit 30 komme die erste Panik. Dabei würden auch Frauen klüger, wenn sie älter werden. Mika zitierte die Schauspielerin Inge Meysel, die einst sagte: „Das Altern erschreckt nur eine Frau, die außer ihrer Figur nichts aufzuweisen hat.“ Aber auch George Clooney, der bemerkte: „Männer haben einen erheblichen Vorteil: Wir kriegen Falten, werden fett und glatzköpfig oder weißhaarig und keinen kümmert’s.“
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Doch über das sozial gemachte Altern von Frauen werde kaum gesprochen, so Bascha Mika: „Ältere Frauen werden im öffentlichen Raum quasi unsichtbar.“ Die Journalistin erklärt die „soziale Verachtung“ des weiblichen Älterwerdens mit Jahrtausende alten Vorurteilen und Bildern, nach denen Frauen über ihren Körper definiert werden. „Das hat knallharte Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen“, schilderte sie. Für Frauen in Führungspositionen sei mit 50, spätestens mit Mitte 50 Schluss. Dagegen sitzen in den großen Dax-Unternehmen lauter Männer im Alter über 60 Jahren auf wichtigen Posten. Manche stiegen noch mit 70 Jahren weiter auf.
Dass ältere Frauen als nicht attraktiv wahrgenommen werden, zeige sich auch im Privatleben. Ab einem gewissen Alter haben Frauen enorme Probleme, einen Partner zu finden, so Mika. Tatsächlich könnten sich Männer in allen Altersgruppen nach Frauen umschauen. Deutlich wird dies etwa in Kontaktanzeigen, in denen Männer selbstverständlich nach Partnerinnen suchen, die zehn bis 20 Jahre jünger sind. Selbst 60-Jährige suchten noch nach Partnerinnen für die Familiengründung. Umgekehrt sei es sehr schwer für Frauen, in jüngeren Altersgruppen zu wildern. „Solche alten Rollenbilder und Stereotypen werden nur geknackt, wenn wir Frauen laut werden und uns wehren“, sagte Mika.
Fachmann lobt Konzeptentwurf für Marburger Altenplanung
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Die Stadt Marburg ist bei ihrer Altenplanung auf dem richtigen Weg – das bescheinigte ihr Dr. Frank Berner vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. Das Konzept für die kommunale Altenplanung III sei „fantastisch“, betonte er: „Dass eine Kommune hier Verantwortung übernimmt, ist nicht selbstverständlich.“ Fachdienstleiterin Dr. Petra Engel hatte das Konzept vorgestellt, in dem Vorschläge zu den Themen Alltag im Alter, Wohnen im eigenen Zuhause, Sport, Bewegung und Gesundheit sowie altersgerechte Quartiersentwicklung stecken. Offene Angebote sollten stärker mit ambulanten und stationären Pflegeinrichtungen vernetzt werden, riet sie. Altersexperte Berner freute sich über den differenzierten Blick auf die Vielfalt des Alterns, die Berücksichtigung der verschiedenen Stadtteile, die Betonung der „kleinen Hilfen“ im Alltag und den Anspruch, auch zurückgezogen lebende Menschen erreichen zu wollen. „Das ist ein Prüfstein“, sagte er.
Zum Abschluss berichteten engagierte Expertinnen und Experten in einer Podiumsdiskussion, wie Altenplanung funktionieren kann: Angela Schönemann schilderte das Projekt „In Würde altern“ von „Arbeit und Bildung“, das vereinsamten Menschen neue Kontakte und Wege zurück ins Leben vermitteln möchte. Humor sei dabei ein guter Türöffner. Eine Erfolgsgeschichte sind die „Aktiven Bürger/innen Cappel“, die ältere Menschen beim Wandern, Radeln, Singen, Tanzen, Basteln und bei PC-Kursen zusammenbringen, berichtete Ortsvorsteher Heinz Wahlers: „Wir bilden Gemeinschaften und schauen nicht nur auf das, was Probleme macht“, sagte er. Dass Marburg mehr Demenzwohnungen benötige, sagte Lucia Bodenhausen vom Seniorenbeirat und der lokalen Allianz für Menschen mit Demenz.
Das vorgestellte Konzept für die kommunale Altenplanung III ist ein Entwurf, den ein Fachbeirat erarbeitet hat. Alle Interessierten sind nun dazu aufgerufen, sich mit ihren Ideen, Anregungen und Erfahrungen einzubringen. Abschließend wird die Stadtverordnetenversammlung über das Konzept für die kommunale Altenplanung III abstimmen.