© Stadt Marburg, Sabine Preisler„Wir stehen vor einer wichtigen Entscheidung für die Entwicklung unserer Stadt“, so Spies zu Beginn des Abends. „Darüber wollen wir die Marburgerinnen und Marburger informieren und ihre Sicht der Dinge aufnehmen“, sagte das Stadtoberhaupt. Ab Montag (18. Juni) geht das zusätzlich zu einer ganzen Reihe von Vor-Ort-Dialog-Veranstaltungen auch per Mail an wohnenimwesten@marburg-stadt.de.
Spies lud die Marburgerinnen und Marburg am Donnerstag ein, mitzumachen im Beteiligungsprozess, „der weit über das übliche Verfahren bei Bau- und Stadtentwicklungsfragen hinausgeht“ und vor allem auch viel früher startet als es die gesetzlich verankerte Beteiligung vorsieht. „Bevor überhaupt der erste Spaten in die Erde geht, wird es sicher noch vier Jahre dauern“,© Stadt Marburg, Sabine Preisler machte Spies deutlich. Denn die Bürger/innenbeteiligung zum „Wohnen im Westen“ in Marburg beginnt bewusst vor einem Stadtverordnetenbeschluss und vor dem erst danach überhaupt einzuleitenden Bauleitverfahren mit Fachgutachten, zu dem bis zum Ende des Verfahrens wiederum Beteiligung gehört. Wünschenswert sei auch ein städtebaulicher Wettbewerb, um das beste Konzept für das Wohnen im neuen Baugebiet zu ermitteln.
© Stadt Marburg, Sabine PreislerMit der Auftaktveranstaltung beginne, so Spies, jetzt der Prozess der Information und Diskussion, des Sammelns von Fragen und Hinweisen, des Aufnehmens von Anregungen, Rückmeldungen und Bedenken der Bürgerinnen und Bürger – unter anderem der Anwohnerinnen und Anwohner ebenso wie derjenigen, die dort künftig wohnen wollen. „Am Ende entscheidet das Stadtparlament“, erläuterte der Oberbürgermeister. „Helfen Sie mit und bringen Sie sich ein, damit die gewählten Stadtverordneten dann unter Einbeziehung aller Informationen bis Ende des Jahres die bestmögliche Entscheidung für das Gemeinwohl treffen können.“
Über zwei Stunden nutzten die Bürgerinnen und Bürger den Auftakt der Beteiligung zum Thema „Wohnen im Westen“, um Fragen zu den Themen Infrastruktur, Wohnformen, Verkehr und Klima zu stellen und Anregungen etwa zum gemeinschaftlichen Wohnen verschiedener Generationen zu geben. Neben Oberbürgermeister und Stadtentwicklungsdezernent Dr. Thomas Spies führten Fachdienstleiter Reinhold Kulle und Monika Brüning von der städtischen Abteilung für Stadtplanung in das Thema ein.
© Stadt Marburg, Sabine PreislerIn einem ersten Schritt hin zu einer Entscheidung, welches Baugebiet mit Priorität entwickelt werden soll, hat der Magistrat zwei Standorte für ein mögliches Wohnungsneubaugebiet vergleichend untersucht. Die Standorte sind „Oberer Rotenberg/Höhenweg“ im Stadtteil Marbach und „Hasenkopf“ im Stadtteil Ockershausen/Stadtwald. Zu klären ist die Frage, welches der beiden Gebiete vorrangig entwickelt wird. „Wir geben aktuell keine Priorisierung für eines der beiden Gebiete vor“, stellte Spies klar, „fest steht nur, dass gebaut werden muss. Es gibt den Bedarf an entsprechendem Wohnraum, dem wir Rechnung tragen wollen und müssen“.
Seit 2015 sind zwar jährlich hunderte neue Wohneinheiten von Wohnungsbaugesellschaften und privaten Investoren entstanden. Dennoch gibt es weiterhin Bedarf an gefördertem, bezahlbarem Wohnraum – bis 2020 werden rund 350 Wohnungen für Menschen mit niedrigem Einkommen benötigt. Neben einzelnen kleineren Projekten in der Innenstadt und in den Stadtteilen sowie der Umwandlung von Brachflächen ist neuer Wohnungsbau in größerem Maßstab derzeit nur auf diesen beiden Gebieten möglich. Auch in einer Bürgerumfrage der Stadt hatten die Marburgerinnen und Marburger den Bedarf nach Wohnraum an oberste Stelle gesetzt.
Obwohl der Obere Rotenberg/Höhenweg (5,4 Hektar) und der Hasenkopf/Stadtwald (9,5 Hektar) so genannte „Vorranggebiete Siedlung“ sind, der übergeordnete Regionalplan sie also fachlich als geeignet ansieht, gibt es für keines der beiden bisher einen gültigen Bebauungsplan. Beide Gebiete werden derzeit noch landwirtschaftlich genutzt. Für beide Gebiete hat die Verwaltung die Wirkung einer Siedlung auf das Stadt- und Landschaftsbild und auf die Qualität der Freiräume, auch für die Naherholung in der direkten Umgebung, geprüft. Untersucht wurde auch, welche Infrastruktur (Läden, Schulen, Kitas, etc.) und Verkehrsanbindungen schon bestehen und welche erst noch geschaffen werden müssen.
© Stadt Marburg, Sabine PreislerSo sei egal für welches der Gebiete man sich entscheide z. B. die Einrichtung eines 3-zügigen Kindergartens und ein sensibler Umgang mit dem Landschaftsbild erforderlich, wie Brüning für die Stadtentwicklung deutlich machte. Und selbstverständlich sei auch die Verkehrsanbindung Gegenstand der Prüfung in einem nach der Priorisierung folgenden Bauleitverfahren, so die Stadt. Wie Brüning als Richtwert nannte, entstehen in einem Wohngebiet von 500 Einwohnern pro Tag rund 1000 Pkw-Fahrten. Durch eine Erweiterung der ÖPNV-Anbindung sinken diese Zahlen, so die Planer.
„Eine solche Planung hört nicht am Gartenzaun auf, sondern soll sich auch positiv auf die bestehenden Wohngebiete in der Nachbarschaft auswirken, z. B. für die Versorgung und den ÖPNV“, machte Stadtplaner Kulle deutlich. „Wir wollen die Vernetzung mit der Nachbarschaft und die Entwicklung als Quartier“, betonte Spies. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns jetzt zu diesem frühen Zeitpunkt an einem Punkt befinden, an dem wir aufnehmen können, was Ihre Vorstellungen für ein Baugebiet sind“, machte der OB die Vorteile deutlich.
Fragen der Beziehungen zum benachbarten Stadtteil und der entsprechenden Auswirkungen eines Baugebiets hatten auf Einladung der Stadt zuvor auch die beiden Ortsvorsteher Jürgen Muth (Marbach) und Ludwig Schneider (Ockershausen) thematisiert.
© Stadt Marburg, Sabine PreislerAm Oberen Rotenberg im Stadtteil Marbach mit seinen 3300 Einwohnerinnen und Einwohnern könnten 200 neue Wohneinheiten entstehen – rund 60 davon als geförderter Wohnungsbau. Das Gebiet Hasenkopf im Stadtwald, in dem derzeit 2230 Marburgerinnen und Marburger leben, hat ein Potenzial von etwa 350 Wohneinheiten, 100 davon gefördert. In beiden Fällen ist somit eine Mischung von gefördertem und anderem Wohnungsbau bewusst vorgesehen. Zudem unterstützt auch der geförderte Wohnungsbau eine möglichst große soziale Vielfalt an Menschen, die in dem neuen Gebiet einmal leben würden. Auch darüber wird öffentlich im Rahmen der Bürger/innenbeteiligung diskutiert.
Schließlich geht die vergleichende Untersuchung der Stadt auch auf Kosten, Risiken und Zeitdauer der Baugebietsentwicklung ein – vom heutigen Start der Bürger/innenbeteiligung bis zu einer möglichen Erschließung. Insgesamt wird bei einer Bebauung des Rotenbergs von einer Verfahrensdauer von fünf bis sechs Jahren ausgegangen, beim Hasenkopf dauert dieser Prozess voraussichtlich sechs bis sieben Jahre. Als nächste Schritte im Beteiligungsverfahren sind Stadtteilspaziergänge in der Marbach (18. August) und im Stadtwald in Ockershausen (25. August) vorgesehen. Die Ergebnisse werden in öffentlichen Ortsbeiratssitzungen dann weiter diskutiert (Marbach: 29. August, Ockershausen: 4. September).
Im Anschluss an die Präsentation im großen Plenum gab es im Erwin-Piscator-Haus vertiefende Informationen mit großen anschaulichen Plakaten an einzelnen Thementischen. Dort diskutierten die anwesenden Bürgerinnen und Bürger mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Bürgermeister Wieland Stötzel und Fachleuten der Verwaltung unter anderem darüber, wie ein neues Wohngebiet aussehen soll sowie über Naturschutz/Naherholung/Klima, Verkehr oder soziale Fragen und gute Nachbarschaft. Die Hinweise, Anregungen, Rückmeldungen und Diskussionen an den Thementischen werden dokumentiert, damit sie für den weiteren Prozess genutzt werden können.
Weitere Termine:
Marbach: Samstag, 18.8., 11-14 Uhr: Stadtteilspaziergang; Mittwoch, 29.8., 18-20 Uhr: Ortsbeiratssitzung
Ockershausen: Samstag, 25.8., 11-15 Uhr: Stadtteilspaziergang Stadtwald; Dienstag, 4.9., 19-21 Uhr: Ortsbeiratssitzung
Runder Tisch Preiswerter Wohnraum: 26.9., 17-19 Uhr, Stadtverordnetensitzungssaal, Barfüßerstr. 50.