Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach stellte das Projekt am Dienstag mit weiteren Beteiligten vor. „Mit der Kleiderkammer in Gisselberg ist der ideale Ort für diese Arbeitsgelegenheiten gefunden. Die Flüchtlinge wurden dort mit offenen Armen empfangen und es gibt alle Hände voll zu tun. Sie lernen die deutsche Sprache und helfen gleichzeitig als Sprachmittler bei der Einkleidung von gerade neu angekommenen Flüchtlingen“, betonte Weinbach.
Aufgenommen wurden die Tätigkeiten im Mai. „Vieles war als die Arbeitsgelegenheiten starteten noch offen. Doch zwei Punkte waren völlig klar: Alle Frauen und Männer, die sich zur Teilnahme an dieser Arbeitsgelegenheit gemeldet hatten, möchten nicht für ungewisse Zeit in Untätigkeit oder Isolation verharren“, erläuterte die Leiterin der Geschäftsstelle für Flüchtlingsbetreuung der Stadt Marburg, Andrea Heilmann. „Auch die ehrenamtlich Mitarbeitenden profitieren von diesem Projekt. Die Zusammenarbeit mit Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft macht allen Spaß, sie lockert unseren Alltag auf und ermöglicht es, voneinander zu lernen“, ergänzte Martina Schnell, die als Hauswirtschafterin der Praxis GmbH auch für die Betreuung der AGL-Teilnehmenden zuständig ist.
Dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber nicht direkt eine bezahlte Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden, hat ganz unterschiedliche Ursachen. Der triftigste Grund ist eine fehlende Erlaubnis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), in Deutschland zu bleiben. Doch auch mangelnde Deutschkenntnisse oder eine in Deutschland nicht anerkannte, aus dem Herkunftsland mitgebrachte Qualifikation hindern die Menschen an dieser Integration.
Mit dem Projekt der Arbeitsgelegenheit will die Stadt Marburg mit dem Kreisjobcenter und der Praxis GmbH den Einstieg ermöglichen. Träger ist die gemeinnützige Praxis GmbH, die jahrelange Erfahrung mit der Beratung, Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen hat. Seit Anfang Mai betreut sie aus ihrem Herkunftsland vertriebene Frauen und Männer und bietet ihnen einen solchen Beschäftigungsersatz. Ausübungsort dieser Tätigkeit ist die von Universitätsstadt Marburg und Deutschem Roten Kreuz in Kooperation betriebene Kleiderkammer in Gisselberg.
Zu Beginn galt es für diese Maßnahme in wenigen Tagen Interessierte zu finden, die zusätzlich zum aktuell laufenden Sprach- und Integrationskurs bereit sind, bis zu sechs Stunden täglich zu arbeiten – ohne dafür einen echten Lohn zu bekommen. Denn gezahlt werden dürfen laut der gesetzlichen Vorschriften für Arbeitsgelegenheiten die Fahrtkosten und eine Aufwandsentschädigung zwischen 1,05 und 1,50 Euro die Stunde. Es handelt sich um einen Beschäftigungsersatz, der im Sinne des Arbeitsrechtes kein Arbeitsverhältnis darstellt. Die städtischen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die Fallmanagerinnen und -manager des Kreisjobcenters sowie die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen im Gisselberger Portal und in der Kleiderkammer hatten kaum mit der Werbung für dieses Projekt begonnen, da waren die Plätze für die erste Runde bereits ausgebucht.
So wurde aus einem „Experiment“ von Universitätsstadt und Landkreis eine feste Gruppe von Menschen, die mit Freude einer Tätigkeit nachgehen, die zwar nicht der Traumjob ist, aber für sie einen guten Schritt in Richtung Arbeitsmarkt bedeutet. Und die Sache hat einen weiteren positiven Effekt: Inzwischen treffen sich einige Flüchtlinge und Ehrenamtliche auch außerhalb der „Arbeitszeit“ zu verschiedenen Freizeitaktivitäten. Die Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit hat also noch andere Vorteile als nur den der Annäherung an den Arbeitsmarkt. Peter Schmidt, Fachbereichsleiter Arbeit, Soziales und Wohnen der Universitätsstadt Marburg, erklärte daher auch, dass weitere solcher Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge in Planung seien.