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MSS Nr. 117: "Friedrich Carl Sell, gute Freunde und ein Widersacher. Aus der Schul- und Stadtgeschichte Marburgs in der NS-Zeit und darüber hinaus"
Gut drei Jahre hat Autor Jürgen Hahn-Schröder für ein Stück der Marburger Erinnerungskultur in unterschiedlichsten Archiven geforscht, um „dem Vergessenen einen Namen zu geben“. Die Stadt Marburg stellt mit einem öffentlichen Programm, Historikern und Zeitzeugin am 8. November (Dienstag) ab 18 Uhr im historischen Rathaussaal erstmals die so entstandene neue Stadtschrift „Friedrich Carl Sell, gute Freunde und ein Widersacher - Aus der Schul- und Stadtgeschichte Marburgs in der NS-Zeit und darüber hinaus“ mit dem Autor vor.
Im Mittelpunkt der Publikation von Jürgen Hahn-Schröder, die am 8. November erscheint, steht der Lebenslauf eines lange vergessenen, dabei herausragenden Lehrers der Elisabethschule, der dort in den Jahren 1933 bis 1937 tätig war. Sell stand dafür, in der Nazi-Hochburg Marburg „humane Prinzipien zu leben“. Erstmals veröffentlicht wird mit dem 323-seitigen Buch auch Sells bisher unbekannter Briefwechsel mit seinem engen Freund, dem bekannten Marburger Theologen Professor Rudolf Bultmann. Sell musste vor weiterer Verfolgung mit seiner Frau und den beiden Töchtern in die USA emigrieren.
Verfolgung eines humanistischen Lehrers an der Elisabethschule
Die© Universitätsstadt Marburg Freundschaft mit Bultmann überdauerte den Krieg und bewährte sich in den Jahren danach, auch für den demokratischen Neuaufbau der Universität. Aufgearbeitet wird mit der Stadtschrift zudem die Rolle der Marburger Nazi-Größe Oskar Wolf, der Sell nach Aufforderung des Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau in Kassel aktiv nicht nur aus der Schule trieb, sondern auch in die Emigration.
„Die erstmalig detailliert erschlossenen Lebensläufe konfrontieren uns mit unserer Stadtgeschichte und der jüngeren deutschen Geschichte - vor, während und nach der NS-Zeit, mit Licht und Schatten, Zivilcourage und Zivilisationsbruch“, so Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, der zur erinnerungspolitischen Diskussion einlädt. Mit dabei sein werden bei der Buchvorstellung am 8. November im Rathaus die extra angereiste, älteste Enkelin von Sell – Lynn Meins - sowie weitere Verwandte.
Mit dabei: Historiker, Stadt, Schule, Enkelin und der Autor
Gewonnen werden konnte für den Abend zudem der an der Philipps-Universität lehrende Historiker Professor Dr. Eckart Conze. Er wird darauf eingehen, warum es sich bei der Stadtschrift um eine nicht nur lokalgeschichtlich wichtige Studie handelt. Conze hatte bereits die Projektleitung der Studie zur Gleichschaltung der Selbstverwaltung im Dritten Reich und zur NS-Vergangenheit von Mandatsträgern nach 1945 inne, die im Auftrag von Magistrat und Parlament erstellt und ebenfalls in der Stadtschriftenreihe veröffentlicht worden ist.
Den Anstoß für Hahn-Schröder, Jahrgang 1952, bis zur Pensionierung Lehrer der Elisabethschule und in der Lehrerfortbildung mit der politischen Bildung befasst, gab einst die Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur in der eigenen Schule. „Das Beispiel von Friedrich Sell mag uns, die wir an gelebter Vielfalt in unserer demokratischen Gesellschaft interessiert sind, zugleich ermahnen und ermutigen“, schildert der Autor seine Motivation.
Über die besondere Bedeutung der Lokalgeschichte für die Bildungsarbeit wird daher im Rathaus auch Dr. Bernhard Rosenkötter, Archivpädagoge am Hessischen Landesarchiv, sprechen. Grußworte des Schulleiters der Elisabethschule sowie die Gelegenheit zum persönlichen Austausch ergänzen das Programm zur Präsentation
Die Stadtschrift erscheint als Band 117 der Reihe am Dienstag, 8. November. Eine Vorbestellung des 323-seitigen Buches ist ab sofort für 15 Euro möglich. "Friedrich Carl Sell, gute Freunde und ein Widersacher. Aus der Schul- und Stadtgeschichte Marburgs in der NS-Zeit und darüber hinaus", ISBN 978-3-942487-20-7.