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Ratsinformation
30.03.2007 - 4.21 Kleine Anfrage des Stadtverordneten Henning Kös...
Grunddaten
- TOP:
- Ö 4.21
- Gremium:
- Stadtverordnetenversammlung
- Datum:
- Fr., 30.03.2007
- Status:
- öffentlich (Sitzung abgeschlossen)
- Uhrzeit:
- 17:05
- Anlass:
- Öffentliche Sitzung
- Beratung:
- öffentlich
- Vorlageart:
- Kleine Anfrage
- Federführend:
- 09 - Unterstützung kommunaler Gremien
- Bearbeiter*in:
- Christina Schmidt
- Beschluss:
- ungeändert beschlossen
Wann
präsentiert der Magistrat den Sachstandsbericht über Erfahrungen anderer Städte
mit Bürgerhaushalten und bis zu welchem Zeitpunkt legt der Magistrat sein
Konzept zur Aufstellung eines Bürgerhaushaltes in Marburg vor?
Es
antwortet der Oberbürgermeister:
Zum
Stichwort „Bürgerhaushalt" liefert Google 149.000 Einträge. Darunter
befindet sich an erster Stelle das Modellprojekt des Landes
Nordrhein-Westfalen, in dem 6 Städte über 3 ½ Jahre hinweg ein
Beteiligungsverfahren entwickelt haben. Darunter befinden sich ferner
umfangreiche Untersuchungen und Dokumentationen, beispielsweise der
Hans-Böckler-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung, der Bundeszentrale für
politische Bildung oder der Universität Potsdam.
Darunter
befinden sich natürlich auch die Projekte vieler Kommunen.
Ein
uneingeschränkt positives Bild ergibt sich daraus allerdings nicht.
Dazu
einige Beispiele:
Aus
Hamburg wird berichtet, dass „über 2.000 Bürger ihren eigenen Haushalt"
aufstellten. Das ist bei 2.000.000 Einwohnern jeder Tausendste. Damit liegt die
Beteiligungsquote noch unter dem Berliner Bezirk Lichtenberg mit 250.000
Einwohnern, von denen immerhin rd. 400 Vorschläge gemacht wurden.
In
Bergisch-Gladbach mit 110.000 Einwohnern wurde für den Bürgerhaushalt 2007 eine
Broschüre an alle Haushalte verteilt und im Internet bereitgestellt. Die
Rückmeldung bestand aus 768 Fragebögen, 30 Einzelschreiben und 44 Teilnehmern
einer Abendveranstaltung. Die Stadt wertet das als „reges Interesse".
Aus
Kaarst (42.000 EW) berichtet die dortige Presse, dass „weniger als 20
Menschen" die angebotene Veranstaltung besucht hätten.
Die
Stadt Potsdam (knapp 150.000 EW) hat ein umfangreiches Beteiligungsmodell
entwickelt, dessen Kosten sie mit 100.000 € beziffert. Gleichzeitig ist zu
lesen, dass 2006 genau 96 Vorschläge von Potsdamern während der
Haushaltsdiskussion eingegangen seien.
Die
Stadt Bonn (314.000 EW) hat vergleichsweise bescheidene 10.000 € für 10.000
Broschüren mit Fragebogen und vielfältige Werbung ausgegeben. Der Rücklauf bei
den 10.000 Fragebögen betrug 10 Stück; die angebotenen 4 Veranstaltungen
wurden von insgesamt 131 Bonnerinnen und Bonnern
besucht. Die Stadt sieht darin eine „rege" Nutzung der angebotenen
Möglichkeiten.
Ein
Erfahrungsaustausch im Hessischen Städtetag 2006 hat zu der Einschätzung
geführt, dass sich die Idee von Bürgerhaushalten zumindest in Hessen nicht
durchgesetzt hat. So ist aus Langen bekannt, dass hier ein Bürgerhaushalt
praktiziert wurde. Die entsprechenden Initiativen wurden aber wieder
eingestellt.
Jüngst
hat die Stadt Kassel (193.000 EW) den Haushalt 2007 mit Bürgerbeteiligung
aufgestellt. Jeder Bürger konnte mit einem „Vorschlagsscheck" seine
Wünsche äußern. Außerdem wurden 1.000 Personen zu 4 Veranstaltungen eingeladen.
Über Fragebögen wurde u. a. das Interesse an der Bürgerbeteiligung abgefragt.
Das Interesse lag bei 85 %.
Allerdings waren nur 68 Fragebögen zurückgelaufen. Die Veranstaltungen wurden
je von ca. 50 Personen besucht, wovon mitunter allerdings ¾ Vertreter aus Politik und Verwaltung und
nur ¼ Vertreter aus Bürgerschaft und interessierten Gruppen waren. Alles in
allem gingen 83 Vorschläge ein. Keiner davon hat sich auf die
Haushaltsbeschlüsse ausgewirkt. Die Stadt selbst wertet das Verfahren als
„positive Resonanz" und als „Erfolg" und will es mit 50.000 € im
Haushalt 2007 und einer Strukturkommission fortführen.
In
Marburg ist die Bürgerschaft, ohne dass das ausdrücklich als
„Bürgerhaushalt" bezeichnet wird, in vielfältiger Weise in den
Willensbildungsprozess eingezogen.
Interessierte
Personen oder Gruppen können über den Magistrat, die Ortsbeiräte - kaum jemand
ist so dicht an der Bürgerschaft wie die Ortsbeiräte -, die Fraktionen, den
Jugendhilfeausschuss, das Kinder- und Jugendparlament, den Seniorenbeirat, den
Behindertenbeirat, den Ausländerbeirat, den Gestaltungsbeirat, den
Naturschutzbeirat, den Denkmalbeirat, den VHS-Beirat, den Wehrführerausschuss,
die Elternbeiräte, die Kommissionen, die Stadtteilgemeinden, die
Initiativgruppen u. a. m. ihre Anregungen, Wünsche und Ideen einbringen.
Die
Zielrichtung des Bürgerhaushalts bewertet der Magistrat positiv, nämlich die
noch stärkere Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen in ihrer
Kommune. Eine positive Auswirkung kann auch sein: Die Haushaltsberatung wird
belebt, etwa durch unbürokratische Vorschläge. Hinzu kommt, daß langfristig
gesehen das Verständnis und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für eine
der wichtigsten Weichenstellung ihrer Stadt verbessert werden kann.
Gerade
der Punkt des Verständnisses für den Haushalt und des Verstehens des Haushalts
hat den Magistrat jedoch bewogen, die bisher erfolgreich praktizierte
Bürgerbeteiligung derzeit nicht um zusätzliche formale Ebenen und Plattformen
zu erweitern. Die Kommunen in Hessen werden ab 2009 so oder so nach einem neuen
Haushaltsrecht zu wirtschaften haben. Der Magistrat hält es nicht für
angebracht, jetzt noch auf der Basis des alten Rechtssystems neue Modelle zu
erproben.
Die
Stadtverordnetenversammlung ist aber selbstverständlich frei darin, in den
derzeit vorgesehenen Zeitplan für den Haushalt 2008 weitere Elemente von
Bürgerbeteiligung als Entscheidungshilfe für die Fraktionen einzufügen.
Zusatzfragen
der Stadtverordneten Metz (Marburger Linke) und Hussein (SPD) werden ebenfalls
durch den Oberbürgermeister beantwortet.
Um
17:53 Uhr übernimmt wieder Stadtverordnetenvorsteher Löwer (SPD) die
Sitzungsleitung.
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