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Ratsinformation

ALLRIS - Vorlage

Beschlussvorlage Stadtverordnetenvers. - VO/1165/2012

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:

 

Die Universitätsstadt Marburg bewirbt sich um Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe mit dem Konzept

 

„Marburg – die Universitätsstadt als kultureller Raum über 500 Jahre“.

 

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Sachverhalt

Begründung:

 

In der zweiten Jahreshälfte 2012 beginnt die Aufstellung einer neuen Liste von Bewerbungen um den Status des Weltkulturerbes. Zu diesem Zweck können die Bundesländer zum 1. August je zwei neue Vorschläge einreichen, zusätzlich aber auch noch solche Vorschläge in Bereichen, die bislang als unterdurchschnittlich repräsentiert gelten. Eine noch zu berufende Kommission wird dann auf Bundesebene aus den Vorschlägen der Länder eine Liste erstellen, aus der daraufhin die Projekte ausgewählt werden, die der UNESCO-Kommission vorgeschlagen werden.

Stark überrepräsentiert waren in der Vergangenheit herausragende Baudenkmäler der Kunstgeschichte und städtebauliche Ensembles. Eine größere Chance haben daher diesmal vor allem solche Projekte, die noch vorhandene Lücken füllen und in ihrer Aussagekraft umfassender sind als die bisher vorgeschlagenen oder bereits etablierten Stätten. Insbesondere auch den Kombinationen von materieller Überlieferung mit Elementen des „geistigen Erbes“ kommt dabei größere Bedeutung zu. Dies gibt nun die Chance, für Marburg die enge Verbindung von Stadt und Universität in einem Typus der „Universitätsstadt“ zum Thema zu machen. Historisch begründet und bis heute fortdauernd besteht in Marburg weit mehr als in anderen kontinentaleuropäischen Universitätsstädten von ähnlichem Rang eine einzigartig enge Verbindung zwischen Universität einerseits und umgebender Stadt andererseits. Dies bezieht sich nicht nur auf die Baulichkeiten der Universität, sondern auch auf Kultur, Handel und Gewerbe und damit letztlich das Alltagsleben in der Stadt, das untrennbar mit der Universität verbunden war und ist. Stadt und Universität bilden dabei einen spezifischen kulturellen Raum, der in besonderer Weise den derzeitigen UNESCO-Kriterien entspricht.

Ausgehend von der Kulturgeografie hat in den letzten Jahren der sog. spatial turn (wörtlich: „räumliche Wende“) auf dem Feld der Kulturwissenschaften mit Strahlkraft hinein in die Geistes- und Sozialwissenschaften unser Verständnis der multiplen und dynamischen Natur eines jeden geografischen Raums verstärkt. Der spatial turn hat unser Bewusstsein dafür erhöht, dass – in den Worten des Raumtheoretikers Henri Lefèbvre – ein Raum nie nur ein physischer Raum ist, sondern stets auch ein Kompositum aus materiellen Bedingungen, Vorstellungen und Praktiken; dass sich ein Raum durch die Art und Weise, wie er wahrgenommen, repräsentiert und nicht zuletzt auch reguliert wird, mindestens ebenso sehr konstituiert wie durch seine physikalische und materielle Beschaffenheit. Insbesondere ein kultureller Raum ist nicht einfach gegeben, sondern er wird durch menschliches Handeln geschaffen – und immer wieder neu geschaffen. Und umgekehrt prägt und beeinflusst ein solchermaßen entstandener kultureller Raum menschliches Wahrnehmen und Handeln.

Die Entstehung dieses kulturellen Raumes Universitätsstadt Marburg reicht zurück bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Landgraf Philipp der Großmütige 1527 in Marburg die erste protestantische Universität errichten ließ, einer Stadt, die, wie dann auch das Religionsgespräch von 1529 auf dem Schloss zeigen sollte, im Focus des reformatorischen Geschehens stand. Durch den Bedarf der nun protestantischen Landesherrschaft an ihr gegenüber loyalen Beamten und Theologen war die Gründung einer solchen Hochschule –  wenn auch vorerst ohne kaiserliches Privileg – zwingend notwendig geworden. Die Wahl eines geeigneten Ortes fiel nicht nur in Hinblick auf die Bibliothek und das Hofgericht, sondern insbesondere auch deshalb auf Marburg und nicht die Hauptresidenz Kassel, weil sich hier das damals neu entwickelte Finanzierungsmodell besonders gut umsetzen ließ. Philipps Berater hatten nämlich als Reaktion auf die vor allem auch ökonomische Krise der bestehenden Universitäten im ausgehenden Mittelalter das eingezogene Klostergut mit seinen weiter vorhandenen Einkünften zur Grundlage der Universitätsfinanzierung gemacht. Damit gingen nun nicht nur die Gebäude, sondern auch die Einkünfte der Marburger Klöster der Franziskaner, Dominikaner und Brüder vom gemeinsamen Leben („Kugelherren“) zusammen mit den Einkünften einzelner Klöster der Umgebung an die Universität über.

In der Folgezeit wurden von der Universität und ihren Angehörigen die drei ehemaligen Klostergebäude genutzt und darüber hinaus auch zahlreiche Privathäuser als Wohnsitze und Lehrorte der Professoren und Wohnungen der Studierenden, während die staatlichen Verwaltungsbauten in der Stadt ebenfalls immer einen engen Bezug zur Universität hatten. Im Ergebnis gab es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem großen preußischen Ausbau der Universität – und angesichts der fast vollständigen Überlieferung des damaligen Bestandes praktisch auch noch heute – einschließlich des Schlosses über der Stadt kaum ein historisches Gebäude in Marburg ohne Bezug zur Universität. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurden weitere bestehende Gebäude, nun erstmalig auch im Bereich des Deutschen Ordens unmittelbar bei der Elisabethkirche, für die Universität umgenutzt und andere neu errichtet. Nach der Eingliederung Kurhessens in Preußen 1866 kamen zu den bislang genutzten Bauten zahlreiche meist im neugotischen Stil gehaltene Neubauten, allen voran auf dem Standort des ehemaligen Dominikanerklosters das stadtbildprägende neue Universitätshauptgebäude von Carl Schäfer (heute „Alte Universität“), während z. B. im Norden der Stadt auf dem Gebiet des ehemaligen Gutshofes des Deutschen Ordens vor allem bis 1914 und nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges wieder in den 1920er Jahren ein ausgedehntes Kliniksviertel mit den zu ihrer Zeit modernsten Bauten auf diesem Gebiet entstand.

Doch nicht nur die Universitätsgebäude finden sich überall in der Stadt, sondern die enge Verflechtung von Stadt und Universität hat sich über die Jahrhunderte hinweg auch auf allen anderen Gebieten zu einem dichten Netzwerk entwickelt.

Der so entstandene kulturelle Raum der Universitätsstadt Marburg in seiner Entwicklung und Veränderung über Jahrhunderte hinweg – und damit als bis in die Gegenwart existierender und wahrnehmbarer Sinnzusammenhang – ist gerade auch in einer solchen Perspektive „ein einzigartiges Zeugnis einer kulturellen Tradition“ im Sinne der UNESCO-Kriterien. Er ist überdies, ebenfalls im Sinne der UNESCO-Kriterien, „in unmittelbarer oder erkennbarer Weise mit Ereignissen oder überlieferten Lebensformen, mit Ideen (…) von außergewöhnlicher universeller Bedeutung verknüpft“. Denn gerade diese beiden Kriterien beziehen sich nicht nur auf materiell-städtebauliche Aspekte und insbesondere die angesprochenen Bauten der Universität, sondern auf einen umfassenden kulturellen Raum, zu dem materielle Dimensionen ebenso gehören wie das geistige Erbe, nicht zuletzt auch materialisiert in den universitären Sammlungen, sowie die Lebensform Universitätsstadt als Wohnort der Professoren und Studenten sowie der mit dieser Lebensform verbundenen Einrichtungen, Traditionen und Kulturmuster.

 

Die materielle Überlieferung der „Universitätsstadt Marburg“ setzt sich heute aus verschiedenen Elementen zusammen:

 

·         Zuerst zu nennen sind hier die unterschiedlichen Gebäude in der Stadt, an denen sich wie an kaum einem anderem Ort die bauliche Entwicklung einer Universität im Laufe der Jahrhunderte ablesen lässt. Von den Klostergebäuden, die die Grundausstattung und zugleich über Jahrhunderte die einzigen eigenen Gebäude der Universität darstellten, ist das Kugelkloster vollständig erhalten, das Franziskaner-(Barfüßer-)kloster in Teilen (ehemalige UB und Reithalle) sowie das Dominikanerkloster weitgehend als archäologische Rekonstruktion durch Carl Schäfer. Die Zeit des ersten Ausbaues der Universität im späten 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ebenfalls mit repräsentativen Beispielen vertreten. Die Professorenhäuser sind noch fast alle erhalten, ebenso der allergrößte Teil der ehemals – und oft noch heute – von Studenten (mit-)bewohnten Privathäuser. Hinzu kommen als besonderes Phänomen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zahlreiche Häuser studentischer Verbindungen, teils als Übernahme bestehender Gebäude, vor allem aber Neubauten des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Erhalten sind auch die verschiedenen Bauten der Stationen Emil von Behrings als Hochschullehrer, Forscher, erster Nobelpreisträger auf dem Gebiet der Medizin und schließlich Firmengründer. Erwähnenswert sind schließlich auch die charakteristischen altstädtischen Ensembles, Sicht- und Wegebeziehungen sowie Treppen als Hintergrund des studentischen Lebens, wie sie etwa von Jacob und Wilhelm Grimm in ihrer hiesigen Studienzeit und den Dichtern der Romantik beschrieben wurden.

 

·         Das Universitätsarchiv bewahrt die reiche, vor allem schriftliche Überlieferung zur Geschichte der Universität (mit der z. B. fast lückenlos überlieferten Matrikel aller jemals hier Studierenden), während im Hessischen Staatsarchiv die Behördenakten über die Universität überliefert sind.

 

·         Die Universitätsbibliothek besitzt umfangreiche und über die Jahrhunderte kontinuierlich gewachsene Bestände, die bis zu den aufgelösten Klosterbibliotheken zurückgehen.

 

·         Viele Institute überliefern wissenschaftliche Sammlungen unterschiedlicher Art, die hier in einem bundesweit seltenen Umfang über Jahrhunderte zusammengetragen worden sind, hierzu gehört auch das weltweit bekannte Bildarchiv Foto Marburg.

 

·         Flankiert werden diese Elemente durch eine zunehmende Bildungs- und Vermittlungsarbeit: von musealen Einrichtungen, Sammlungen, Institutionen und Vereinen bis hin zu thematischen Stadtführungen, historischen Hinweisschildern zu bedeutenden Persönlichkeiten und „Lehrpfaden“ wie Grimm-Dich-Pfad (Brüder Grimm) und den geplanten Behring-Pfad (Emil von Behring).

 

Insgesamt stellt damit diese Überlieferung der „Universitätsstadt“ ein vielschichtiges und facettenreiches kulturelles Ensemble dar, das in seiner Gesamtheit eine Entwicklung von annähernd 500 Jahren an diesem Ort repräsentiert. Vor dem Hintergrund der besonderen Umstände der Gründung als weltweit erster protestantischer Universität und der dazu entwickelten neuen Organisationsstruktur hat dieses umfangreiche Ensemble als kultureller Raum im kontinentalen Europa eine einzigartige Bedeutung, die angesichts der notwendigen und hier vorhandenen Integrität und Authentizität auch weltweit besondere Beachtung als materielles und immaterielles Kulturgut beanspruchen kann.

 

 

Da bei Haushaltsverabschiedung 2012 die Bewerbung UNESCO-Weltkulturerbe noch nicht abzusehen war, kam es im Haushalt 2012 nicht zur Etatisierung der Bewerbungskosten. Deshalb soll die Bewerbung durch eine Umwidmung der Gelder für das Projekt „Behring-Pfad“ (50.000 €) im Produkt 241020 „Kulturelle Veranstaltungen“ finanziert werden. Der Behring-Pfad mit Behring-Ausstellung in der Bahnhofstr. 7 kann trotzdem weitestgehend inhaltlich vorbereitet und im Haushaltsjahr 2013 umgesetzt werden.

 

Sollten diese Finanzmittel nicht ausreichen, müssten weitere Mittel über eine außerplanmäßige Ausgabe oder einen möglichen Nachtragshaushalt bereitgestellt werden.

 

 

 

 

Egon Vaupel                                                        Dr. Franz Kahle                            Dr. Kerstin Weinbach

Oberbürgermeister                                          Bürgermeister                                          Stadträtin

 

                            Ausdruck vom: 09.05.2012

                            Seite: 3/3

 

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