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Ratsinformation

ALLRIS - Vorlage

Beschlussvorlage Stadtverordnetenvers. - VO/1548/2003

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung nehmen den vorliegenden Bericht, die Kurzdokumentation der Veranstaltungsreihe zur Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung und die Umsetzungsempfehlungen zur Kenntnis.

 

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Sachverhalt

Begründung:

Im Frühjahr/Sommer 2002 hat das Amt für Stadtentwicklung und städtebauliche Planungen im Auftrag des Magistrates eine Informationsreihe mit 5 Veranstaltungen zu Partizipationsformen der Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung durchgeführt (s. Anlage 1). Im Zuge der Vorbereitung dieser Veranstaltungsreihe sind die bisher praktizierten Beteiligungsformen für alle Planungsebenen exemplarisch dargestellt worden (s. Anlage 2).

 

Vorausschickend wird betont, dass mit dieser Veranstaltungsreihe kein fertiges Konzept zu einer qualitativen Ausweitung und Verbesserung der Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung erstellt wird, sondern Optionen für Beteiligungsformen aufgezeigt werden, die im konkreten Fall umgesetzt werden können. Eine Intensivierung der Bürger/innenbeteiligung führt in der Regel zu keinem größeren Konsens. Das heißt, Widersprüche bei stadtentwicklungsbedeutsamen Projekten werden immer zu Trage treten und sind nicht Ausdruck ungenügender Bürger/innenbeteiligung. Anregungen der Bürger/innen sind frühzeitig aufzunehmen und abzuwägen und bei der Konkretisierung von Planungen zu würdigen. Die politische Entscheidung wird jedoch letztendlich von den Parlamentariern getroffen und zu vertreten sein.

 

Die städt. Veranstaltungsreihe wurde von Studierenden des Seminars „Kommunalpolitik und Bürgerbeteiligung“; Leitung: Herr Prof. Dr. Theo Schiller am Institut für Politikwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, dokumentiert und ausgewertet. Das Dokumentationsteam von 6 Studenten hat in einer sechzigseitigen Zusammenstellung die Vorträge und Diskussionsbeiträge dokumentiert und eine Reihe von Schlussfolgerungen und Empfehlungen formuliert. Die ausgewählten Empfehlungen stützen sich im Wesentlichen auf die Vorträge und Diskussionen der Veranstaltungen. Sie wurden nur in geringem Umfang verdeutlicht oder durch eigene Anregungen ergänzt. Die 60seitige Broschüre liegt im FD 61.1 Stadtplanung aus und kann von allen Interessierten eingesehen werden. Die 7seitigen Empfehlungen aus der Veranstaltungsreihe zur Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung mit den Leitzielen und Gestaltungsvorschlägen sind ebenfalls als Anlage 3 dieser Vorlage beigefügt.

 

Die ausführliche Dokumentation der 5 Einzelveranstaltungen wird hier in einer Kurzfassung wiedergegeben.

 

 

B-1:

„Partizipation in/an der Stadtplanung“ (25. April 2002),

Referentin: Frau Dr. Mussel (UNI-GH Kassel, FB Stadt- und Landschaftsplanung)

 

Den Schwerpunkt des Vortrages bildete u. a. die Präsentation neuerer Formen der Bürger-/innenbeteiligung bzgl. der Stadtplanung. Hier standen insbesondere die unterschiedlichen Erfahrungen mit erfolgsversprechenden und dialogischen Beteiligungsformen in den Beispielstädten Berlin, München und Regensburg im Zentrum der Ausführungen.

 

Beispiel a): Open-Space-Verfahren in Berlin-Friedrichshain/Boxhagener Platz;

Open-Space-Verfahren dauert minimal einen halben Tag und max. fünf Tage, wobei die Teilnehmerzahl offen ist (ca. zwölf bis mehrere hundert Personen). Der offene Raum („Open-Space“) symbolisiert das Unbekannte aus dem heraus Neues entstehen kann. Die Konferenz, die durch eine Moderation begleitet wird, beginnt mit der symbolischen Schaffung des Raumes in Form einer offenen Mitte. In ihr benennen die Teilnehmer ihr Anliegen zudem vorab bekannten Thema und erklären damit sogleich ihre Bereitschaft, das Thema in einer Kleingruppe zur Diskussion zu stellen. Da den einzelnen Themen, Zeitschienen und Orte zugewiesen werden, ist es möglich, in einem Zeitraum von 1 bis 1 ½ Stunden eine fünftägige Veranstaltung zu organisieren, wobei zusätzlich die für die Themen Verantwortlichen benannt werden. Wenn zuvor Arbeitsgruppenberichte vereinbart wurden, kann bei entsprechender technischer Ausstattung am Ende der 5 Tage sogar ein Ergebnisband den Teilnehmern präsentiert werden.

 

 

Beispiel b): Planungsdialog Regensburg: Modellprojekt für energiesparendes Bauen (unterer Wöhrd);

In Regensburg sollte ein Modellprojekt für hochverdichtetes und energiesparendes Bauen umgesetzt werden. Das ehrgeizige Projekt, das in der Fachwelt Unterstützung fand, wurde jedoch von der ansässigen Bevölkerung abgelehnt und der Widerstand manifestierte sich in einer Bürgerinitiative. Der Streit zwischen den Bürgern und der Stadt Regensburg konnte in einem dialogischen Verfahren („Planungsdialog“) durch eine Kompromisslösung behoben werden. In Diskussionsveranstaltungen mit einem externen bzw. neutralen Moderator wurde über einen sechsmonatigen Zeitraum ein Planungsdialog geführt. Unter hoher Beteiligung der Öffentlichkeit, Presse, Internet zum Stand des Planungsprozesses und unter Einbeziehung der lokalen Träger und der Politik in das Verfahren, gelang es einen Empfehlungskatalog zu formulieren, der bei der Überarbeitung des Rahmenplanes für das Baugebiet umgesetzt wurde.

 

 

Beispiel c) Konsensorientiertes Beteiligungsverfahren: Umgestaltung Wiener Platz in München (Mediation);

Im Zug einer neuen Platzgestaltung wurden von den ansässigen Gewerbetreibenden durch den Wegfall von Parkplätzen wirtschaftliche Einbußen befürchtet. Unterschiedliche Interessengruppen mit eigenständigen Vertretern (Teilung der anschließenden Diskussionsrunden in Innenkreis: Interessengruppen, Einzelhändler, Fußgänger und in Außenkreis: Lokalpolitik, Verwaltung und Planern) entwickeln unter externer Moderation tragfähige Vorschläge, die von der Verwaltung geplant und umgesetzt werden. Wichtig war die Umsetzung in experimenteller Form. Nach einem Jahr konnte so über die Annahme der bisherigen Umsetzung entschieden werden.

 

 

B 2:

„Projektdarstellung in unterschiedlichen Beteiligungsformen in Marburg und vergleichbaren Städten: Rüsselsheim und Gießen“ (21. Mai 2002);

Referentinnen/Referenten: Frau Dipl.-Ing. Meiners/Rüsselsheim, Herr Dipl.-Ing. Dettling/Gießen und Mitarbeiter/innen der Stadtverwaltung Marburg

 

Projektdarstellungen in Marburg:

·   Bebauungsplan Gisselberg

·   Stadträumliches Strukturkonzept/Zentrum für soziale Psychiatrie in Cappel

·   Kinder- und Jugendparlament Marburg

·   Stadterneuerung Richtsberg und Förderprojekt „Soziale Stadt“

·   Behindertenbeteiligung bei städt. Planungen

 

Beispiel der Stadt Rüsselsheim, innovativer Wohnungsbau „Wohngruppenprojekt Max-Beckmann-Weg“;

·   Projekt um Abwanderung ins Umland zu stoppen und Identifikation der zukünftigen Bewohner mit dem Wohngebiet zu initiieren;

·   Projektentwicklung und Management für ein Wohnbaugebiet mit den Zielsetzungen nachbarschaftlich, ökologisch und kostengünstig. Aufwendiger Planungs- und Entstehungsprozess, da Interesse der Bauwilligen häufig darin bestand, möglichst billig und schnell an ein Eigenheim zu kommen und so leichtfertige Inkaufnahme der städt. Zielvorgaben mit allen anschließenden Problemen für die Umsetzung. Unabhängige Moderation fehlte auch als Schaltstelle zwischen Verwaltung und Bauwilligen.

 

 

Bürgerbeteiligung bei Projekten in der Giessener Innenstadt:

·   Teilweise festgefahrene Pflichtkommunikation, die zu einer gewissen Resignation sowohl bei der Lokalpolitik, Verwaltung und Bürgern geführt hat.

·   Beispielprojekt „Stadt 2030 Gießen/Wetzlar“

·         Umsetzung von 3 Einzelprojekten in der Giessener Innenstadt ist gescheitert und die Verwaltung hat vorgeschlagen, einen Masterplan für die Entwicklung der Giessener Innenstadt in Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft zu erarbeiten.

 

 

B-3:

„Neue Medien in der Stadtplanung (Überblick und Praxibeispiele)“ (06.06.2002);

Referenten: Herr Dr. Kersting, Philipps-Universität Marburg und Herr Dipl.-Ing. Schneider, Stadtplanungsamt Esslingen

 

Vortrag Dr. Kersting:

 

·   „Internetvisionen“:

Interneteuphorie; Internet als interaktives Medium mit dem man kommunizieren und interagieren kann (visuelle Simulationen); Ende der Monopolstellung der Lokalpresse

 

·   Internetnutzung und Partizipation:

„Digitale Spaltung“, da in Deutschland nur ca. 30 % Internetzugang haben, gegenüber ca. 50 % in Skandinavien.

 

·   „Partizipative Spaltung“:

   Andererseits sinkt seit 1980 die Wahlbeteiligung bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen stetig. Die Hoffnung, besteht nach Ansicht des Referenten, dass man durch Internetnutzung vor allem Jugendliche ansprechen könne. Hierzu wurde auf die „elektronische Demokratie (E-democracy) sowie die „elektronische Verwaltung“ (E-government) verwiesen. Hierdurch entsteht z. B. bei Einwohnermeldeämtern eine Art Selbstbedienungsbürokratie. Durch sog. „elektronische schwarze Bretter“ können neue Bürgerinformationssysteme ins Leben gerufen werden. Weiterhin bieten Diskussionsforen im Internet (Chat-Channel) unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten im Internetzeitalter.

 

Als Beispiel wurde das „Forum Gießen“ unter Mitwirkung der Lokalzeitung und der Justus-Liebig-Universität Gießen genannt. Hier wurde aufgrund von 170 Diskussionsbeiträgen zum Thema Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen in Gießen ein Bürgergutachten erstellt, das Argumente, Kompromissvorschläge und Anregungen zum weiteren Vorgehen enthielt. Allerdings fand keine Kooperation mit anderen Medien statt und Moderation erwies sich als notwendig.

 

Der Referent kam zu der Schlussfolgerung, dass das Internet gegenüber der landläufigen Meinung, nicht so interaktiv sei, wie man dies erwartet. Allerdings müssten Internetzugänge und auch politische Partizipation gefördert werden. Das Internet stellt eine eigene Öffentlichkeit dar und die Nutzung als „elektronischer Meckerkasten“ wird als Möglichkeit betrachtet, Proteste, Anregungen und andere Diskussionsbeiträge den Kommunen zu übermitteln. Auch die Möglichkeit die Beschlusskontrolle einzustellen, wird als eine praktikable Anwendungsmöglichkeit für das Internet gesehen.

 

 

Vortrag Schneider:

 

„Demokratie goes online“:

Internet-basierte Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung/Bauleitplanung. Chancen und Grenzen aus Sicht der Planungspraxis

 

Bürgerbeteiligung als „Prozess der Entscheidungsvorbereitung“

·   Bürger können nicht individuell selbst entscheiden.

·   Unter dem kommunalpolitischen Aspekt ermöglicht die Bürgerbeteiligung eine Verstärkung der kommunalen Selbstverwaltung

·   Von der stadtplanerisch-soziologischen Perspektive spielt Bürgerbeteiligung eine wichtige Rolle in der Aneignung/Identifizierung mit der Stadt

·   Bürgerbeteiligung unterstützt die Sicherung von Rechtsansprüchen

·   Planungstheoretische und planungspraktische Gründe für die Bürgerbeteiligung sind die erhöhte Stärkung der Sachkompetenz der Beteiligten und die Erhöhung der Akzeptanz einer Entscheidung/Planung der Projekte

 

Anforderungen der Beteiligungsverfahren:

·   Die Bürger zum frühestmöglichen Zeitpunkt beteiligen

·   Möglichst viele und unterschiedliche Bürger beteiligen

·   Insbesondere Betroffene an der Planung beteiligen

·   Beteilungsgleichheit/Verfahrensgerechtigkeit

·   Offenheit für Lösungen oder andere Alternativen zu Planungen

 

 

Beispiel internet-basierten Bürgerbeteiligung

Das Esslinger Modellprojekt „Eggert“

Online-Bürgerbeteiligung mit Diskussionsforum als „Vorverfahren“ zu dem eigentlichen Bebauungsplan-Verfahren; öffentliche Informationsveranstaltung, Moderation durch einen neutralen Dritten, in einem Internet-Diskussionsforum über 3 Wochen mit 3 Angebotsmöglichkeiten:

·   Die Möglichkeit, sich über eine Planung zu informieren

·   Die Möglichkeit, Stellungnahmen und Anregungen abzugeben

·   Die Möglichkeit, andere Stellungnahmen zu lesen und an der Diskussion in einem Internetforum teilzunehmen

 

Seitens des Stadtplanungsamtes gab es folgende Erwartungshaltung:

·   Eine größere Anzahl von Bürgern anzusprechen

·   Sachliche Diskussion, die zu einer Meinungsbildung führt

·   Höhere Transparenz zum Inhalt der Planung und zur Entscheidungsfindung

·   Weitere Akzeptanz der kommunalpolitischen Entscheidungen

 

Auswertung des Esslinger Modellprojekts:

Startseite mit 1 387 Zugriffen, Bürgerinformationen mit 1 648 und auf das Diskussionsforum gab es insgesamt 4 336 Zugriffe, 26 Personen haben sich aktiv mit 119 Beiträgen beteiligt. Die Moderatoren schätzten, dass ca. 80 Personen passive Besucher in der Internetplattform waren. Dies waren insbesondere direkt Betroffene oder Bürger die normalerweise eine aktive Rolle in der Bürgerbeteiligung spielen. Kommunalpolitiker haben die Chance nicht genutzt hier eine aktive Rolle bei der Online-Bürgerbeteiligung zu spielen.

 

Fazit:

Das Internet wird als ein Kommunikationsmittel betrachtet, dass als Ergänzung herkömmlicher Beteiligungsmöglichkeiten dient. Der organisatorische und finanzielle Mehraufwand muss hinterfragt werden. Für den Bürger bedeutet dies eine neue Möglich-/Bequemlichkeit unkompliziert Informationen zu erwerben und eine neues, zusätzliches Angebot zur Beteiligung.

 

Es wurde die Hoffnung ausgesprochen, dass durch das Internet kommunale Planungen und Entscheidungsvorbereitungsprozesse verständlicher dokumentiert werden können und letztendlich zu einer breiteren Akzeptanz kommunalpolitischer Entscheidungen führen kann.

 

 

B-4:

„Diskurs, Presse – Politik“ (13.06.2002)

 

Unter Leitung von Frau Prof. Neuer-Miebach diskutierten 6 Marburger Lokalpolitiker mit 3 örtlichen Pressevertretern zum Thema der Bürgerbeteiligung an der Stadtentwicklungsplanung. Zusätzlich sollte die Bürgerbeteiligung an einem konkreten Marburger Beispiel des Sanierungsvorhabens der Nordstadt erörtert werden. Als Leitthema stellte die Moderatorin die Frage voran, wie und wann die Bürger beteiligt werden sollen und, auf welcher Ebene eine Beteiligung möglich und sinnvoll ist. Frau Neuer-Miebach stellte die Ausgangssituation für diese Veranstaltungsreihe heraus und verwies darauf, dass Bürgerbeteiligung seitens der Lokalpolitik gewollt und gefragt ist. In einem Rückblick verwies sie darauf, dass in den 70er Jahren in Marburg im Zuge der Sanierungsplanung eine Phase der aktiven Beteiligung stattgefunden habe, die in den 80er und 90er Jahren eingeschränkt nur bei einigen Einzelprojekten eine Fortführung erfahren habe. Zur Zeit stünde eine Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten in verschiedenen Beiräten oder auch projektbezogenen Aktionen zur Verfügung.

 

Die Zielsetzung der Diskussionsrunde war, keine Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, sondern perspektivische Verbesserungsmöglichkeiten für die Bürgerbeteiligung aufzuzeigen. Bei den Politikern wurde ebenfalls nachgefragt, was sie von der Öffnung zum Bürger erwarten. In der weiteren Diskussion wurde auch darauf hingewiesen, dass das Mitspracherecht der Bürger in Planungsprozessen eher eingeschränkt ist und die Entscheidungen letztendlich in der repräsentativen Demokratie von den gewählten Volksvertretern getroffen werden und zu verantworten sind. Auch auf das Spannungsfeld von Planungen und langfristigen Stadtentwicklungsprozessen und kurzfristigen Politikentscheidungen im Zuge von einzelnen Wahlperioden wurde ebenso hingewiesen, wie auf die Problematik der Fülle des Informationsmaterials zu einzelnen Planungen. Für die Lokalpolitik bietet die Bürgerbeteiligung eine Möglichkeit zur Legitimation der Parlamentsentscheidungen. Die Ausarbeitung des Konzeptes für eine effizientere Bürgerbeteiligung bei gleichzeitiger Verschlankung der Verwaltung wird ebenfalls als Anspruch dargelegt. In einem Zwischenresümee wurde festgestellt, dass sich die Bürger aus Sicht der Politik insgesamt zu wenig aktiv beteiligen und mehr Mitsprache von den Bürgern in Entscheidungen und Einbringen von Ideen gefordert. Es sind jedoch auch die enger werdenden finanziellen Spielräume und somit begrenztere Handlungsmöglichkeiten zu würdigen. Es wurde deutlich herausgestellt, dass die Presse nicht das „Sprachrohr“ der Verwaltung und der Politik sei, sondern in einem Informationsauftrag den Bürgern gegenüber zu unabhängiger Berichterstattung verpflichtet ist.

 

Für die Lokalpresse hat sowohl Stadtentwicklung als auch Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert in der Berichterstattung. Die Presse nimmt hier die Rolle eines Mittlers zwischen Politik und Verwaltung auf der einen Seite, sowie den Bürgern auf der anderen Seite ein. Die Presse übernimmt in diesem Zusammenhang sozusagen die Funktion des Übersetzers, der Verwaltungssprache und Hintergründe zu einem Planungsprozess für alle Bürger verständlich macht. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass für die Bürger häufig die Aufgabenbereiche von Politik und Verwaltung vermischt werden. Nach Aussage des Rundfunkvertreters ist es Aufgabe seines Mediums nur punktuell über wichtige Marburger Stadtentwicklungsthemen zu berichten, da regional ein größeres Einzugsgebiet informell abgedeckt werden muss.

 

In der anschließenden offenen Diskussion mit den Zuhörern wurde die Erwartung ausgesprochen, dass die Anregungen und Ergebnisse dieser Veranstaltungsreihe aufgenommen werden, um die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in Marburg zu verbessern. Es wurde jedoch auch klargestellt, dass es bereits langfristig etablierte Bürgerbeteiligungsforen gibt (z. B. Beiräte) und die Ergebnisse von der Lokalpolitik respektiert, aufgegriffen und umgesetzt werden. Die Verbindlichkeit der Empfehlungen und durch deren Umsetzung ist das Ansehen und die Motivation der Beiräte in Marburg gestärkt worden. Als Beispiel für ein gutes Beteiligungsverfahren wurde auch der Agenda-Prozess genannt, bei dem jedoch die Umsetzung mit Schwierigkeiten behaftet war.

 

In der 2. Diskussionsphase wurden Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten am Beispiel des Sanierungsvorhabens der Marburger Nordstadt diskutiert. Nach kurzer Einführung durch die Moderatorin wurde von einem Lokalpolitiker darauf hingewiesen, dass es für die Politiker nicht möglich sei, an allen möglichen verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen, da gerade in kleinen Fraktionen entsprechende Gremienarbeit ansteht. In Bezug auf das Nordviertel wurde eine Bürgerbefragung für wichtig angesehen. Erwartet wird, dass erste Maßnahmen frühestens in 3-5 Jahren umgesetzt werden können. Die Vertreterin der Oberhess. Presse teilte mit, dass sich die Zeitung bereits dem Projekt der Sanierung der Nordstadt ausführlich angenommen hat und sie das Informationsbedürfnis der Bürger als nicht so nachhaltig sieht, wie es von den Lokalpolitikern erwartet wird. Die engagierten Bürger seien immer dieselben. Es wurde kritisiert, dass zwischen Planungsphase mit politischer Entscheidung bis zur Realisierung einzelner Bauprojekte eine relativ lange Zeit vergehen kann.

 

Da die Planungs- und Umsetzungsphase des Sanierungsprojektes der Nordstadt auf 20-25 Jahre angelegt ist, besteht hier die Möglichkeit, unterschiedliche Angebote anzuwenden und durch ständige Kontakte mit den Anwohnern des Gebietes über den gesamten Planungsprozess in Verbindung zu bleiben. Wichtig ist, dass die Bürgerschaft ständig motiviert wird, an dem Planungsprozess teilzunehmen. Auch eine besondere Aktion als Initialzündung (z. B. Parlamentssitzung auf der gesperrten Bahnhofstraße)  würde die Aufmerksamkeit der Bürger wecken und zur Mitarbeit motivieren. Auch das Internet soll genutzt werden, um Informationen zu vermitteln und die Bürger einzubeziehen. Es wurde auch angeregt, über Zeitungsbeilagen zusätzliche Informationen anzubieten.

 

Seitens der Bürger wurden unterschiedliche Initiativen angeregt: Es sollte u. a. ein Projektleiter für Pressearbeit eingesetzt werden oder ein Aktionsforum ins Leben gerufen werden bzw. auch in Form eine Bürgerbefragung mit 3000 repräsentativ ausgewählten Bürgern den Planungsprozess zu diskutieren.

 

Zusammenfassend stellte die Moderatorin fest, dass unterschiedlichste und eine Vielzahl von Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten in Marburg vorhanden seien, die politischen Entscheidungen letztendlich jedoch von den Parlamentariern getroffen werden müssen. Um die Fragen „wer kann sich beteiligen?“, „wer will sich beteiligen?“ und „wer hält es auch durch?“ müssen neue Ideen entwickelt und verschiedene Verfahren ausprobiert werden, um mehr Bürger zu erreichen. Dies kann nur in einem konstruktiven Miteinander zwischen Verwaltung und Politik entstehen. Von der Moderatorin wurde das Postulat aufgestellt, „wir müssen Bürgerbeteiligung betreiben, um die Bürger zu besseren Bürgern zu machen.“

 

Seitens des Leiters der Stadtplanung wurde hier nochmals betont, dass das Forum gezeigt habe, das es kein fertiges allseits anzuwendendes Verfahren der Bürgerbeteiligung gibt und das ein Prozess angestrebt werden sollte, in dem weiterhin diskutiert wird und Meinungen offen ausgetauscht werden können.  Er betonte nochmals die Zielrichtung der Vortragsreihe und erläuterte, dass hierdurch ein Forum geschaffen werden sollte, das als Meinungsbörse genutzt werden kann.

 

 

 

B-5:

Abschlussveranstaltung/Podiumsdiskussion (25.06.2002)

 

Teilnehmer der Veranstaltung waren: Herr Oberbürgermeister Möller, Herr Stadtrat Dr. Kahle, Herr Prof. Schiller, Herr Dr. Marks, Frau Dinnebier, Herr Haberle, Herr Kulle;

Moderation: Herr Prof. Nötzel

 

Ziel der Abschlussveranstaltung war es, eine Zusammenfassung der Veranstaltungsreihe unter Berücksichtigung spezifischer Marburger Projekte zu geben. Bei der Podiumsdiskussion ging es zunächst um die Darstellung allgemeiner Zielperspektiven, der Vertreter von Initiativgruppen, des Magistrates und der Wissenschaft, aber auch um persönliche Stellungnahmen zur Veranstaltungsreihe. Abschließend sollten aktuelle Marburger Stadtplanungsprojekte thematisiert werden.

 

·   Frau Dinnebier („Soziale Stadt“) legte ihren Schwerpunkt auf Frauenbelange und forderte eine stärkere Beteiligung der kommunalen Frauenbeauftragten oder spezielle Beteiligungsmodelle für Frauen, um das Handlungs- und Mitwirkungsvermögen von Frauen zu stärken.

·   Herr Marks („Lokale Agenda 21“) verwies darauf, dass durch den Agenda 21-Prozess eine nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene eingeleitet wurde. In Marburg laufe dieser Prozess seit mittlerweile 4 Jahren und es hätten sich 8 Arbeitskreise zu verschiedenen Themenbereichen gebildet. Bei der Leitbildentwicklung und deren Umsetzung wurden 3 Punkte positiv hervorgehoben: das Melderecht in den Ausschüssen der Marburger Stadtverordnetenversammlung, die gute Zusammenarbeit mit dem Umweltausschuss sowie die intensive Arbeit in den einzelnen Gruppen, die eine wesentliche Handlungsorientierung zur Umsetzung bietet. Die Entwicklung von Leitbildern, die jede Arbeitsgruppe erstellt hat, wird zwar grundsätzlich als gelungener Arbeitsprozess gesehen, doch wird kritisiert, dass die Chancen nicht genutzt wurden, die Leitbilder stärker öffentlich wirksam nach außen zu tragen. Dies hatte zur Folge, dass die Arbeit der Agenda-Gruppen relativ wenig Akzeptanz erfahren hat.

·   Herr Haberle („Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung e.V./IG MARSS“) erläuterte, dass sich eine Bürgerinitiative im Zuge der Neubebauung des Feeser-Geländes gegründet hat. Grundsätzlich wurde die Aufstellung eines Gesamtentwicklungsplanes für die Stadt Marburg gefordert.

 

Seitens des Magistrates und der Verwaltung wurde auf die unterschiedlichen Wege der Bürgerbeteiligung bei Stadtplanungsprojekte verwiesen. Stadtplanung sei als Gesamtentwicklung der Stadt zu verstehen und berücksichtigt orts- und interessenübergreifend unterschiedliche private Aspekte und öffentliche Belange. In den letzten Jahren hat es sich als Praktikabel erwiesen, Planungen als einzelne Mosaiksteine zu erstellen und dann entsprechend zu vernetzen. Als Beispiele wurden das Marburger Verkehrsforum und die Lokale Agenda 21 genannt.

 

Bei allen Planungsprozessen ist immer wieder festzustellen, dass überwiegend nur der Bürger erreicht wird, der sich auch persönlich durch eine Planung betroffen fühlt. Es wurde erneut herausgestellt, dass eine Internet-Beteiligung noch nicht zukunftweisend sei, sondern nur andere Beteiligungsformen unterstützen kann. In der Diskussion wurde wiederholt deutlich gemacht, dass in Marburg ein immenses Maß an Beteiligungsprojekten auf dem Weg gebracht worden ist und man immer versuchen muss, die Beteiligungsform an dem konkreten Projekt zu orientieren. Kostenpunkte und auch rechtliche Fragen müssen in Bezug auf Planungsprozesse thematisiert und für den Bürger verdeutlicht werden.

 

In der weiteren Diskussionsrunde wurde darauf hingewiesen, dass selbstverständlich auch noch Verbesserungsmöglichkeiten in der Umsetzung von Bürgerbeteiligungsmaßnahmen bestehen und das bisherige Erfahrungswissen entsprechend dokumentiert und zugänglich gemacht werden soll. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, inwiefern durch eine Bürgerbeteiligung und die -initiative politische Entscheidungen revidiert werden können. Da keine Rückschau in Vergangenheit gehalten werden sollte, wurden nur darauf hingewiesen, dass die Aufhebung von vorhandenen Planungs- und Baurechten mit erheblichem finanziellen und rechtlichen Auswirkungen behaftet ist.

 

Bei bisherigen Planungen wurden beispielhaft „Flyer“ (Infoflatblätter) gedruckt, um die Öffentlichkeit über Baumaßnahmen und Projekte zu informieren. Auch soll zukünftig das Internet zur Informationsweitergabe genutzt werden. Letztendlich ist jedoch auch eine Intensivierung des Beteilungsprozesses kapazitätenabhängig und erfordert entsprechende Haushaltsmittel. In der Diskussion wurde gefordert, mit Ressourcen sparsam umzugehen, frühzeitig die Bürger zu beteiligen und durch intensivere und neue Beteiligungsformen eine qualitative Teilnahme zu erreichen. Auf Interessenüberschneidungen zwischen Bürgern, privaten Investoren und städt. Interessen wurde hingewiesen; hier können durch Moderatoren, externe Experten und Netzwerke Interessenkonflikte gemindert werden.  Herr Prof. Schiller wies insbesondere darauf hin, dass es für den Bürger wichtig sein, dass neue Anregungen aufgenommen werden und bei der Konkretisierung von Lösungsvorschlägen die Möglichkeit der Revidierbarkeit gegeben sei.

 

Die Vertreter des Magistrates verwiesen darauf, dass dies auch in Marburg bei unterschiedlichen Projekten bereits geschehen sei. So wurde u. a. die Lahn-Renaturierung gestoppt, ein Begrünungskonzept am Richtsberg nicht gewollt und Wassergräben in Weidenhausen verhindert.

 

In einem Resümee verwies der Moderator auf die unterschiedlich vorgeschlagenen Partizipationsmodelle (Planungszelle, Bürgerbefragung u. a. m.). Grundsätzlich sei für die Bürgerbeteiligung bei Stadtentwicklungsprojekten die Offenheit der Planung immer wichtig, da es hier in der Regel um eine positive Zukunftsgestaltung handelt.

 

 

Resultierend aus den Empfehlungen des Teams der Universität (s. Anlage) werden die 6 nachfolgenden Leitsätze als Maßgabe für die zukünftige Bürgerbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung formuliert:

 

  • Bei zukünftigen Stadtentwicklungs- und Planungsprojekten sollen projektbezogen neue Beteiligungsmöglichkeiten und – formen genutzt werden.

 

  • Bei zukünftigen umfangreichen Planungsprojekten, wie z. B. „Sanierung Nordstadt“, sollen die bisherigen Beteiligungsformen (Bürgerversammlungen, Workshops u. a. m) „bestätigt“ und vertieft werden.

 

  • Gemäß den Gesprächsergebnissen und Bürgerwünschen der Veranstaltungen, soll für zukünftige städtebauliche Projekte angestrebt werden, dass bereits vor dem formalen Aufstellungsbeschlüssen ohne Vorentwurfskonzepte, z. B. in öffentlichen Ortsbeiratssitzungen, die Planungsproblematik und mögliche Optionen dargelegt werden. Neben den Mitgliedern des Ortsbeirates und den Bürgern sollen die Politiker bereits auch an diesen ersten Vorgesprächen teilnehmen.

 

  • Das formale Bauleitplanverfahren soll um einen informellen Schritt, so wie es viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen praktizieren, um den „Entwurfsbeschluss“ erweitert werden. Dies bedeutet, dass Magistrat und Bauausschuss den Vorentwurf beraten und für die Bürger- und Trägeranhörung freigeben. Somit besteht für die Politik frühzeitig die Möglichkeit, dass entsprechende Alternativen entwickelt werden oder auch mit unterschiedlichsten Planvarianten die Bürger- und Trägerbeteiligung durchgeführt werden kann.

 

  • Für spezielle Sonderplanungen, wie z. B. die Rahmenplanung für einen Stadtteil, wird angeregt, das Instrument Planungszelle (Bürgergutachten) zu nutzen. Da dieses Beteiligungsverfahren sehr aufwendig und kostspielig ist, müssen für eine solche Projektbegleitung frühzeitig entsprechende Haushaltsmittel eingestellt werden. So hat der FD 61.1 für den Haushalt 2004 ein Projekt „Zukunftswerkstatt/Rahmenplanung Ockershausen“ ein Volumen von 20 000,00 Euro angemeldet.

 

Im Zuge der weiteren Darstellung der Stadt Marburg im Internet soll versucht werden, wichtige Stadtplanungsprojekte (wie z. B. das Umfeld der Elisabethkirche) durch eine multimediale Unterstützung entsprechend zu präsentieren. Im Zuge der weiteren Bearbeitung der Bauleitplanung mit Hilfe des GIS bzw. CAD muss geprüft werden, inwiefern auch diese Pläne in das Netz eingestellt werden können und so die Bürger auch Online Auskünfte über bestehendes Planungsrecht einholen können.

 

Zusammenfassend wird nochmals darauf verwiesen, dass es keine allgemeingültige Handlungsanweisung für bestimmte Formen der Bürgerbeteiligung gibt, sondern dass immer objektbezogen in Abstimmung mit Politik und den Beteiligten eine angemessene Beteiligungsform gefunden werden muss. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf aktuelle oder kürzlich abgeschlossene Städtebauprojekte, wo unterschiedliche Mitwirkungsmöglichkeiten praktiziert worden sind. So ist z. B. bei der Rahmenplanung Marbach die Zusammenarbeit mit dem Ortsbeirat intensiviert worden; bei den Projekten ZSP und Nordstadt lief die Beteiligung über Workshops; bei Bebauungsplänen wie Fronhof und Gewerbegebiet Michelbach-Süd ist frühzeitig der Gestaltungsbeirat eingeschaltet worden und bei der Dorferneuerungsplanung Michelbach hat über einen längeren Zeitraum ein Arbeitskreis die Projektplanung maßgeblich gesteuert.

 

 

 

 

Dietrich Möller

Oberbürgermeister

 

 

Anlagen

 

 

 

 

 

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