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Ratsinformation
Beschlussvorlage Stadtverordnetenvers. - VO/1548/2003
Grunddaten
- Betreff:
-
Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung;*Bericht und Kurzdokumentation der Veranstaltungsreihe des Amtes für Stadtentwicklung und städtebauliche Planungen 2002 mit einer Auswahl von Umsetzungsempfehlungen*
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Beschlussvorlage Stadtverordnetenvers.
- Federführend:
- 61 - Stadtplanung und Denkmalschutz
- Bearbeiter*in:
- Ellen Fischer
- Verfasser*in:
- Uwe Ante
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Bau- und Planungsausschuss, Liegenschaften
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Vorberatung
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10.09.2003
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Erledigt
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Stadtverordnetenversammlung
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Entscheidung
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19.09.2003
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Erledigt
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Magistrat
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Sachverhalt
Begründung:
Im Frühjahr/Sommer 2002 hat das Amt für Stadtentwicklung und städtebauliche Planungen im Auftrag des Magistrates eine Informationsreihe mit 5 Veranstaltungen zu Partizipationsformen der Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung durchgeführt (s. Anlage 1). Im Zuge der Vorbereitung dieser Veranstaltungsreihe sind die bisher praktizierten Beteiligungsformen für alle Planungsebenen exemplarisch dargestellt worden (s. Anlage 2).
Vorausschickend wird betont, dass mit dieser Veranstaltungsreihe kein fertiges Konzept zu einer qualitativen Ausweitung und Verbesserung der Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung erstellt wird, sondern Optionen für Beteiligungsformen aufgezeigt werden, die im konkreten Fall umgesetzt werden können. Eine Intensivierung der Bürger/innenbeteiligung führt in der Regel zu keinem größeren Konsens. Das heißt, Widersprüche bei stadtentwicklungsbedeutsamen Projekten werden immer zu Trage treten und sind nicht Ausdruck ungenügender Bürger/innenbeteiligung. Anregungen der Bürger/innen sind frühzeitig aufzunehmen und abzuwägen und bei der Konkretisierung von Planungen zu würdigen. Die politische Entscheidung wird jedoch letztendlich von den Parlamentariern getroffen und zu vertreten sein.
Die städt. Veranstaltungsreihe wurde von Studierenden des
Seminars „Kommunalpolitik und Bürgerbeteiligung“; Leitung: Herr Prof. Dr. Theo
Schiller am Institut für Politikwissenschaften der Philipps-Universität Marburg,
dokumentiert und ausgewertet. Das Dokumentationsteam von 6 Studenten hat in
einer sechzigseitigen Zusammenstellung die Vorträge und Diskussionsbeiträge
dokumentiert und eine Reihe von Schlussfolgerungen und Empfehlungen formuliert.
Die ausgewählten Empfehlungen stützen sich im Wesentlichen auf die Vorträge und
Diskussionen der Veranstaltungen. Sie wurden nur in geringem Umfang
verdeutlicht oder durch eigene Anregungen ergänzt. Die 60seitige Broschüre
liegt im FD 61.1 Stadtplanung aus und kann von allen Interessierten eingesehen
werden. Die 7seitigen Empfehlungen aus der Veranstaltungsreihe zur
Bürger/innenbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung mit den Leitzielen und
Gestaltungsvorschlägen sind ebenfalls als Anlage 3 dieser Vorlage beigefügt.
Die ausführliche Dokumentation der 5 Einzelveranstaltungen
wird hier in einer Kurzfassung wiedergegeben.
B-1:
„Partizipation in/an der
Stadtplanung“ (25. April 2002),
Referentin: Frau Dr. Mussel (UNI-GH
Kassel, FB Stadt- und Landschaftsplanung)
Den Schwerpunkt des
Vortrages bildete u. a. die Präsentation neuerer Formen der
Bürger-/innenbeteiligung bzgl. der Stadtplanung. Hier standen insbesondere die
unterschiedlichen Erfahrungen mit erfolgsversprechenden und dialogischen
Beteiligungsformen in den Beispielstädten Berlin, München und Regensburg im
Zentrum der Ausführungen.
Beispiel a): Open-Space-Verfahren in
Berlin-Friedrichshain/Boxhagener Platz;
Open-Space-Verfahren dauert
minimal einen halben Tag und max. fünf Tage, wobei die Teilnehmerzahl offen ist
(ca. zwölf bis mehrere hundert Personen). Der offene Raum („Open-Space“)
symbolisiert das Unbekannte aus dem heraus Neues entstehen kann. Die Konferenz,
die durch eine Moderation begleitet wird, beginnt mit der symbolischen
Schaffung des Raumes in Form einer offenen Mitte. In ihr benennen die
Teilnehmer ihr Anliegen zudem vorab bekannten Thema und erklären damit sogleich
ihre Bereitschaft, das Thema in einer Kleingruppe zur Diskussion zu stellen. Da
den einzelnen Themen, Zeitschienen und Orte zugewiesen werden, ist es möglich,
in einem Zeitraum von 1 bis 1 ½ Stunden eine fünftägige Veranstaltung zu
organisieren, wobei zusätzlich die für die Themen Verantwortlichen benannt
werden. Wenn zuvor Arbeitsgruppenberichte vereinbart wurden, kann bei
entsprechender technischer Ausstattung am Ende der 5 Tage sogar ein
Ergebnisband den Teilnehmern präsentiert werden.
Beispiel b):
Planungsdialog Regensburg: Modellprojekt für energiesparendes Bauen (unterer
Wöhrd);
In Regensburg sollte ein
Modellprojekt für hochverdichtetes und energiesparendes Bauen umgesetzt werden.
Das ehrgeizige Projekt, das in der Fachwelt Unterstützung fand, wurde jedoch
von der ansässigen Bevölkerung abgelehnt und der Widerstand manifestierte sich
in einer Bürgerinitiative. Der Streit zwischen den Bürgern und der Stadt
Regensburg konnte in einem dialogischen Verfahren („Planungsdialog“) durch eine
Kompromisslösung behoben werden. In Diskussionsveranstaltungen mit einem
externen bzw. neutralen Moderator wurde über einen sechsmonatigen Zeitraum ein
Planungsdialog geführt. Unter hoher Beteiligung der Öffentlichkeit, Presse,
Internet zum Stand des Planungsprozesses und unter Einbeziehung der lokalen
Träger und der Politik in das Verfahren, gelang es einen Empfehlungskatalog zu
formulieren, der bei der Überarbeitung des Rahmenplanes für das Baugebiet
umgesetzt wurde.
Beispiel c)
Konsensorientiertes Beteiligungsverfahren: Umgestaltung Wiener Platz in München
(Mediation);
Im Zug einer neuen
Platzgestaltung wurden von den ansässigen Gewerbetreibenden durch den Wegfall
von Parkplätzen wirtschaftliche Einbußen befürchtet. Unterschiedliche
Interessengruppen mit eigenständigen Vertretern (Teilung der anschließenden
Diskussionsrunden in Innenkreis: Interessengruppen, Einzelhändler, Fußgänger
und in Außenkreis: Lokalpolitik, Verwaltung und Planern) entwickeln unter
externer Moderation tragfähige Vorschläge, die von der Verwaltung geplant und
umgesetzt werden. Wichtig war die Umsetzung in experimenteller Form. Nach einem
Jahr konnte so über die Annahme der bisherigen Umsetzung entschieden werden.
B 2:
„Projektdarstellung in
unterschiedlichen Beteiligungsformen in Marburg und vergleichbaren Städten:
Rüsselsheim und Gießen“ (21. Mai 2002);
Referentinnen/Referenten: Frau
Dipl.-Ing. Meiners/Rüsselsheim, Herr Dipl.-Ing. Dettling/Gießen und
Mitarbeiter/innen der Stadtverwaltung Marburg
Projektdarstellungen in
Marburg:
· Bebauungsplan Gisselberg
· Stadträumliches
Strukturkonzept/Zentrum für soziale Psychiatrie in Cappel
· Kinder- und Jugendparlament Marburg
· Stadterneuerung Richtsberg und
Förderprojekt „Soziale Stadt“
· Behindertenbeteiligung bei städt.
Planungen
Beispiel der Stadt
Rüsselsheim, innovativer Wohnungsbau „Wohngruppenprojekt Max-Beckmann-Weg“;
· Projekt um Abwanderung ins Umland zu
stoppen und Identifikation der zukünftigen Bewohner mit dem Wohngebiet zu
initiieren;
· Projektentwicklung und Management
für ein Wohnbaugebiet mit den Zielsetzungen nachbarschaftlich, ökologisch und
kostengünstig. Aufwendiger Planungs- und Entstehungsprozess, da Interesse der
Bauwilligen häufig darin bestand, möglichst billig und schnell an ein Eigenheim
zu kommen und so leichtfertige Inkaufnahme der städt. Zielvorgaben mit allen
anschließenden Problemen für die Umsetzung. Unabhängige Moderation fehlte auch
als Schaltstelle zwischen Verwaltung und Bauwilligen.
Bürgerbeteiligung bei
Projekten in der Giessener Innenstadt:
· Teilweise festgefahrene
Pflichtkommunikation, die zu einer gewissen Resignation sowohl bei der
Lokalpolitik, Verwaltung und Bürgern geführt hat.
· Beispielprojekt „Stadt 2030
Gießen/Wetzlar“
·
Umsetzung
von 3 Einzelprojekten in der Giessener Innenstadt ist gescheitert und die
Verwaltung hat vorgeschlagen, einen Masterplan für die Entwicklung der
Giessener Innenstadt in Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft zu erarbeiten.
B-3:
„Neue Medien in der Stadtplanung
(Überblick und Praxibeispiele)“ (06.06.2002);
Referenten: Herr Dr. Kersting,
Philipps-Universität Marburg und Herr Dipl.-Ing. Schneider, Stadtplanungsamt
Esslingen
Vortrag Dr. Kersting:
· „Internetvisionen“:
Interneteuphorie; Internet als interaktives Medium mit dem man kommunizieren und interagieren kann (visuelle Simulationen); Ende der Monopolstellung der Lokalpresse
· Internetnutzung und Partizipation:
„Digitale Spaltung“,
da in Deutschland nur ca. 30 % Internetzugang haben, gegenüber ca. 50 % in
Skandinavien.
· „Partizipative Spaltung“:
Andererseits sinkt seit 1980 die Wahlbeteiligung bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen stetig. Die Hoffnung, besteht nach Ansicht des Referenten, dass man durch Internetnutzung vor allem Jugendliche ansprechen könne. Hierzu wurde auf die „elektronische Demokratie (E-democracy) sowie die „elektronische Verwaltung“ (E-government) verwiesen. Hierdurch entsteht z. B. bei Einwohnermeldeämtern eine Art Selbstbedienungsbürokratie. Durch sog. „elektronische schwarze Bretter“ können neue Bürgerinformationssysteme ins Leben gerufen werden. Weiterhin bieten Diskussionsforen im Internet (Chat-Channel) unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten im Internetzeitalter.
Als Beispiel wurde
das „Forum Gießen“ unter Mitwirkung der Lokalzeitung und der
Justus-Liebig-Universität Gießen genannt. Hier wurde aufgrund von 170
Diskussionsbeiträgen zum Thema Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen in
Gießen ein Bürgergutachten erstellt, das Argumente, Kompromissvorschläge und
Anregungen zum weiteren Vorgehen enthielt. Allerdings fand keine Kooperation
mit anderen Medien statt und Moderation erwies sich als notwendig.
Der Referent kam zu
der Schlussfolgerung, dass das Internet gegenüber der landläufigen Meinung,
nicht so interaktiv sei, wie man dies erwartet. Allerdings müssten
Internetzugänge und auch politische Partizipation gefördert werden. Das
Internet stellt eine eigene Öffentlichkeit dar und die Nutzung als
„elektronischer Meckerkasten“ wird als Möglichkeit betrachtet, Proteste,
Anregungen und andere Diskussionsbeiträge den Kommunen zu übermitteln. Auch die
Möglichkeit die Beschlusskontrolle einzustellen, wird als eine praktikable
Anwendungsmöglichkeit für das Internet gesehen.
Vortrag
Schneider:
„Demokratie
goes online“:
Internet-basierte
Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung/Bauleitplanung. Chancen und Grenzen aus
Sicht der Planungspraxis
Bürgerbeteiligung
als „Prozess der Entscheidungsvorbereitung“
· Bürger
können nicht individuell selbst entscheiden.
· Unter
dem kommunalpolitischen Aspekt ermöglicht die Bürgerbeteiligung eine
Verstärkung der kommunalen Selbstverwaltung
· Von
der stadtplanerisch-soziologischen Perspektive spielt Bürgerbeteiligung eine
wichtige Rolle in der Aneignung/Identifizierung mit der Stadt
· Bürgerbeteiligung
unterstützt die Sicherung von Rechtsansprüchen
· Planungstheoretische
und planungspraktische Gründe für die Bürgerbeteiligung sind die erhöhte
Stärkung der Sachkompetenz der Beteiligten und die Erhöhung der Akzeptanz einer
Entscheidung/Planung der Projekte
Anforderungen
der Beteiligungsverfahren:
· Die
Bürger zum frühestmöglichen Zeitpunkt beteiligen
· Möglichst
viele und unterschiedliche Bürger beteiligen
· Insbesondere
Betroffene an der Planung beteiligen
· Beteilungsgleichheit/Verfahrensgerechtigkeit
· Offenheit
für Lösungen oder andere Alternativen zu Planungen
Beispiel
internet-basierten Bürgerbeteiligung
Das
Esslinger Modellprojekt „Eggert“
Online-Bürgerbeteiligung
mit Diskussionsforum als „Vorverfahren“ zu dem eigentlichen
Bebauungsplan-Verfahren; öffentliche Informationsveranstaltung, Moderation
durch einen neutralen Dritten, in einem Internet-Diskussionsforum über 3 Wochen
mit 3 Angebotsmöglichkeiten:
· Die
Möglichkeit, sich über eine Planung zu informieren
· Die
Möglichkeit, Stellungnahmen und Anregungen abzugeben
· Die
Möglichkeit, andere Stellungnahmen zu lesen und an der Diskussion in einem
Internetforum teilzunehmen
Seitens
des Stadtplanungsamtes gab es folgende Erwartungshaltung:
· Eine
größere Anzahl von Bürgern anzusprechen
· Sachliche
Diskussion, die zu einer Meinungsbildung führt
· Höhere
Transparenz zum Inhalt der Planung und zur Entscheidungsfindung
· Weitere
Akzeptanz der kommunalpolitischen Entscheidungen
Auswertung
des Esslinger Modellprojekts:
Startseite
mit 1 387 Zugriffen, Bürgerinformationen mit 1 648 und auf das Diskussionsforum
gab es insgesamt 4 336 Zugriffe, 26 Personen haben sich aktiv mit 119 Beiträgen
beteiligt. Die Moderatoren schätzten, dass ca. 80 Personen passive Besucher in
der Internetplattform waren. Dies waren insbesondere direkt Betroffene oder
Bürger die normalerweise eine aktive Rolle in der Bürgerbeteiligung spielen.
Kommunalpolitiker haben die Chance nicht genutzt hier eine aktive Rolle bei der
Online-Bürgerbeteiligung zu spielen.
Fazit:
Das
Internet wird als ein Kommunikationsmittel betrachtet, dass als Ergänzung
herkömmlicher Beteiligungsmöglichkeiten dient. Der organisatorische und
finanzielle Mehraufwand muss hinterfragt werden. Für den Bürger bedeutet dies
eine neue Möglich-/Bequemlichkeit unkompliziert Informationen zu erwerben und
eine neues, zusätzliches Angebot zur Beteiligung.
Es wurde
die Hoffnung ausgesprochen, dass durch das Internet kommunale Planungen und
Entscheidungsvorbereitungsprozesse verständlicher dokumentiert werden können
und letztendlich zu einer breiteren Akzeptanz kommunalpolitischer
Entscheidungen führen kann.
B-4:
„Diskurs,
Presse – Politik“ (13.06.2002)
Unter
Leitung von Frau Prof. Neuer-Miebach diskutierten 6 Marburger Lokalpolitiker
mit 3 örtlichen Pressevertretern zum Thema der Bürgerbeteiligung an der
Stadtentwicklungsplanung. Zusätzlich sollte die Bürgerbeteiligung an einem
konkreten Marburger Beispiel des Sanierungsvorhabens der Nordstadt erörtert
werden. Als Leitthema stellte die Moderatorin die Frage voran, wie und wann die
Bürger beteiligt werden sollen und, auf welcher Ebene eine Beteiligung möglich und
sinnvoll ist. Frau Neuer-Miebach stellte die Ausgangssituation für diese
Veranstaltungsreihe heraus und verwies darauf, dass Bürgerbeteiligung seitens
der Lokalpolitik gewollt und gefragt ist. In einem Rückblick verwies sie
darauf, dass in den 70er Jahren in Marburg im Zuge der Sanierungsplanung eine
Phase der aktiven Beteiligung stattgefunden habe, die in den 80er und 90er
Jahren eingeschränkt nur bei einigen Einzelprojekten eine Fortführung erfahren
habe. Zur Zeit stünde eine Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten in
verschiedenen Beiräten oder auch projektbezogenen Aktionen zur Verfügung.
Die
Zielsetzung der Diskussionsrunde war, keine Vergangenheitsbewältigung zu
betreiben, sondern perspektivische Verbesserungsmöglichkeiten für die
Bürgerbeteiligung aufzuzeigen. Bei den Politikern wurde ebenfalls nachgefragt,
was sie von der Öffnung zum Bürger erwarten. In der weiteren Diskussion wurde
auch darauf hingewiesen, dass das Mitspracherecht der Bürger in
Planungsprozessen eher eingeschränkt ist und die Entscheidungen letztendlich in
der repräsentativen Demokratie von den gewählten Volksvertretern getroffen
werden und zu verantworten sind. Auch auf das Spannungsfeld von Planungen und
langfristigen Stadtentwicklungsprozessen und kurzfristigen Politikentscheidungen
im Zuge von einzelnen Wahlperioden wurde ebenso hingewiesen, wie auf die
Problematik der Fülle des Informationsmaterials zu einzelnen Planungen. Für die
Lokalpolitik bietet die Bürgerbeteiligung eine Möglichkeit zur Legitimation der
Parlamentsentscheidungen. Die Ausarbeitung des Konzeptes für eine effizientere
Bürgerbeteiligung bei gleichzeitiger Verschlankung der Verwaltung wird
ebenfalls als Anspruch dargelegt. In einem Zwischenresümee wurde festgestellt,
dass sich die Bürger aus Sicht der Politik insgesamt zu wenig aktiv beteiligen
und mehr Mitsprache von den Bürgern in Entscheidungen und Einbringen von Ideen
gefordert. Es sind jedoch auch die enger werdenden finanziellen Spielräume und
somit begrenztere Handlungsmöglichkeiten zu würdigen. Es wurde deutlich
herausgestellt, dass die Presse nicht das „Sprachrohr“ der Verwaltung und der
Politik sei, sondern in einem Informationsauftrag den Bürgern gegenüber zu
unabhängiger Berichterstattung verpflichtet ist.
Für
die Lokalpresse hat sowohl Stadtentwicklung als auch Bürgerbeteiligung einen
hohen Stellenwert in der Berichterstattung. Die Presse nimmt hier die Rolle
eines Mittlers zwischen Politik und Verwaltung auf der einen Seite, sowie den
Bürgern auf der anderen Seite ein. Die Presse übernimmt in diesem Zusammenhang
sozusagen die Funktion des Übersetzers, der Verwaltungssprache und Hintergründe
zu einem Planungsprozess für alle Bürger verständlich macht. In diesem
Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass für die Bürger häufig die
Aufgabenbereiche von Politik und Verwaltung vermischt werden. Nach Aussage des
Rundfunkvertreters ist es Aufgabe seines Mediums nur punktuell über wichtige
Marburger Stadtentwicklungsthemen zu berichten, da regional ein größeres
Einzugsgebiet informell abgedeckt werden muss.
In
der anschließenden offenen Diskussion mit den Zuhörern wurde die Erwartung
ausgesprochen, dass die Anregungen und Ergebnisse dieser Veranstaltungsreihe
aufgenommen werden, um die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in Marburg zu
verbessern. Es wurde jedoch auch klargestellt, dass es bereits langfristig
etablierte Bürgerbeteiligungsforen gibt (z. B. Beiräte) und die Ergebnisse von
der Lokalpolitik respektiert, aufgegriffen und umgesetzt werden. Die
Verbindlichkeit der Empfehlungen und durch deren Umsetzung ist das Ansehen und
die Motivation der Beiräte in Marburg gestärkt worden. Als Beispiel für ein
gutes Beteiligungsverfahren wurde auch der Agenda-Prozess genannt, bei dem
jedoch die Umsetzung mit Schwierigkeiten behaftet war.
In
der 2. Diskussionsphase wurden Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten am Beispiel des
Sanierungsvorhabens der Marburger Nordstadt diskutiert. Nach kurzer Einführung
durch die Moderatorin wurde von einem Lokalpolitiker darauf hingewiesen, dass
es für die Politiker nicht möglich sei, an allen möglichen verschiedenen
Veranstaltungen teilzunehmen, da gerade in kleinen Fraktionen entsprechende
Gremienarbeit ansteht. In Bezug auf das Nordviertel wurde eine Bürgerbefragung
für wichtig angesehen. Erwartet wird, dass erste Maßnahmen frühestens in 3-5
Jahren umgesetzt werden können. Die Vertreterin der Oberhess. Presse teilte
mit, dass sich die Zeitung bereits dem Projekt der Sanierung der Nordstadt
ausführlich angenommen hat und sie das Informationsbedürfnis der Bürger als
nicht so nachhaltig sieht, wie es von den Lokalpolitikern erwartet wird. Die
engagierten Bürger seien immer dieselben. Es wurde kritisiert, dass zwischen
Planungsphase mit politischer Entscheidung bis zur Realisierung einzelner
Bauprojekte eine relativ lange Zeit vergehen kann.
Da
die Planungs- und Umsetzungsphase des Sanierungsprojektes der Nordstadt auf
20-25 Jahre angelegt ist, besteht hier die Möglichkeit, unterschiedliche
Angebote anzuwenden und durch ständige Kontakte mit den Anwohnern des Gebietes
über den gesamten Planungsprozess in Verbindung zu bleiben. Wichtig ist, dass
die Bürgerschaft ständig motiviert wird, an dem Planungsprozess teilzunehmen.
Auch eine besondere Aktion als Initialzündung (z. B. Parlamentssitzung auf der
gesperrten Bahnhofstraße) würde
die Aufmerksamkeit der Bürger wecken und zur Mitarbeit motivieren. Auch das
Internet soll genutzt werden, um Informationen zu vermitteln und die Bürger
einzubeziehen. Es wurde auch angeregt, über Zeitungsbeilagen zusätzliche
Informationen anzubieten.
Seitens
der Bürger wurden unterschiedliche Initiativen angeregt: Es sollte u. a. ein
Projektleiter für Pressearbeit eingesetzt werden oder ein Aktionsforum ins
Leben gerufen werden bzw. auch in Form eine Bürgerbefragung mit 3000
repräsentativ ausgewählten Bürgern den Planungsprozess zu diskutieren.
Zusammenfassend
stellte die Moderatorin fest, dass unterschiedlichste und eine Vielzahl von
Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten in Marburg vorhanden seien, die politischen
Entscheidungen letztendlich jedoch von den Parlamentariern getroffen werden
müssen. Um die Fragen „wer kann sich beteiligen?“, „wer will sich beteiligen?“
und „wer hält es auch durch?“ müssen neue Ideen entwickelt und verschiedene
Verfahren ausprobiert werden, um mehr Bürger zu erreichen. Dies kann nur in einem
konstruktiven Miteinander zwischen Verwaltung und Politik entstehen. Von der
Moderatorin wurde das Postulat aufgestellt, „wir müssen Bürgerbeteiligung
betreiben, um die Bürger zu besseren Bürgern zu machen.“
Seitens
des Leiters der Stadtplanung wurde hier nochmals betont, dass das Forum gezeigt
habe, das es kein fertiges allseits anzuwendendes Verfahren der
Bürgerbeteiligung gibt und das ein Prozess angestrebt werden sollte, in dem
weiterhin diskutiert wird und Meinungen offen ausgetauscht werden können. Er betonte nochmals die Zielrichtung
der Vortragsreihe und erläuterte, dass hierdurch ein Forum geschaffen werden
sollte, das als Meinungsbörse genutzt werden kann.
B-5:
Abschlussveranstaltung/Podiumsdiskussion
(25.06.2002)
Teilnehmer
der Veranstaltung waren: Herr Oberbürgermeister Möller, Herr Stadtrat Dr.
Kahle, Herr Prof. Schiller, Herr Dr. Marks, Frau Dinnebier, Herr Haberle, Herr
Kulle;
Moderation:
Herr Prof. Nötzel
Ziel
der Abschlussveranstaltung war es, eine Zusammenfassung der Veranstaltungsreihe
unter Berücksichtigung spezifischer Marburger Projekte zu geben. Bei der
Podiumsdiskussion ging es zunächst um die Darstellung allgemeiner
Zielperspektiven, der Vertreter von Initiativgruppen, des Magistrates und der
Wissenschaft, aber auch um persönliche Stellungnahmen zur Veranstaltungsreihe.
Abschließend sollten aktuelle Marburger Stadtplanungsprojekte thematisiert
werden.
· Frau
Dinnebier („Soziale Stadt“) legte ihren Schwerpunkt auf Frauenbelange und
forderte eine stärkere Beteiligung der kommunalen Frauenbeauftragten oder
spezielle Beteiligungsmodelle für Frauen, um das Handlungs- und
Mitwirkungsvermögen von Frauen zu stärken.
· Herr
Marks („Lokale Agenda 21“) verwies darauf, dass durch den Agenda 21-Prozess
eine nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene eingeleitet wurde. In Marburg
laufe dieser Prozess seit mittlerweile 4 Jahren und es hätten sich 8
Arbeitskreise zu verschiedenen Themenbereichen gebildet. Bei der
Leitbildentwicklung und deren Umsetzung wurden 3 Punkte positiv hervorgehoben:
das Melderecht in den Ausschüssen der Marburger Stadtverordnetenversammlung,
die gute Zusammenarbeit mit dem Umweltausschuss sowie die intensive Arbeit in
den einzelnen Gruppen, die eine wesentliche Handlungsorientierung zur Umsetzung
bietet. Die Entwicklung von Leitbildern, die jede Arbeitsgruppe erstellt hat,
wird zwar grundsätzlich als gelungener Arbeitsprozess gesehen, doch wird
kritisiert, dass die Chancen nicht genutzt wurden, die Leitbilder stärker
öffentlich wirksam nach außen zu tragen. Dies hatte zur Folge, dass die Arbeit
der Agenda-Gruppen relativ wenig Akzeptanz erfahren hat.
· Herr
Haberle („Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung e.V./IG
MARSS“) erläuterte, dass sich eine Bürgerinitiative im Zuge der Neubebauung des
Feeser-Geländes gegründet hat. Grundsätzlich wurde die Aufstellung eines
Gesamtentwicklungsplanes für die Stadt Marburg gefordert.
Seitens
des Magistrates und der Verwaltung wurde auf die unterschiedlichen Wege der
Bürgerbeteiligung bei Stadtplanungsprojekte verwiesen. Stadtplanung sei als
Gesamtentwicklung der Stadt zu verstehen und berücksichtigt orts- und
interessenübergreifend unterschiedliche private Aspekte und öffentliche
Belange. In den letzten Jahren hat es sich als Praktikabel erwiesen, Planungen
als einzelne Mosaiksteine zu erstellen und dann entsprechend zu vernetzen. Als
Beispiele wurden das Marburger Verkehrsforum und die Lokale Agenda 21 genannt.
Bei
allen Planungsprozessen ist immer wieder festzustellen, dass überwiegend nur
der Bürger erreicht wird, der sich auch persönlich durch eine Planung betroffen
fühlt. Es wurde erneut herausgestellt, dass eine Internet-Beteiligung noch
nicht zukunftweisend sei, sondern nur andere Beteiligungsformen unterstützen
kann. In der Diskussion wurde wiederholt deutlich gemacht, dass in Marburg ein
immenses Maß an Beteiligungsprojekten auf dem Weg gebracht worden ist und man
immer versuchen muss, die Beteiligungsform an dem konkreten Projekt zu
orientieren. Kostenpunkte und auch rechtliche Fragen müssen in Bezug auf
Planungsprozesse thematisiert und für den Bürger verdeutlicht werden.
In
der weiteren Diskussionsrunde wurde darauf hingewiesen, dass selbstverständlich
auch noch Verbesserungsmöglichkeiten in der Umsetzung von Bürgerbeteiligungsmaßnahmen
bestehen und das bisherige Erfahrungswissen entsprechend dokumentiert und
zugänglich gemacht werden soll. Kontrovers wurde die Frage diskutiert,
inwiefern durch eine Bürgerbeteiligung und die -initiative politische
Entscheidungen revidiert werden können. Da keine Rückschau in Vergangenheit
gehalten werden sollte, wurden nur darauf hingewiesen, dass die Aufhebung von
vorhandenen Planungs- und Baurechten mit erheblichem finanziellen und
rechtlichen Auswirkungen behaftet ist.
Bei
bisherigen Planungen wurden beispielhaft „Flyer“ (Infoflatblätter) gedruckt, um
die Öffentlichkeit über Baumaßnahmen und Projekte zu informieren. Auch soll
zukünftig das Internet zur Informationsweitergabe genutzt werden. Letztendlich
ist jedoch auch eine Intensivierung des Beteilungsprozesses kapazitätenabhängig
und erfordert entsprechende Haushaltsmittel. In der Diskussion wurde gefordert,
mit Ressourcen sparsam umzugehen, frühzeitig die Bürger zu beteiligen und durch
intensivere und neue Beteiligungsformen eine qualitative Teilnahme zu
erreichen. Auf Interessenüberschneidungen zwischen Bürgern, privaten Investoren
und städt. Interessen wurde hingewiesen; hier können durch Moderatoren, externe
Experten und Netzwerke Interessenkonflikte gemindert werden. Herr Prof. Schiller wies insbesondere
darauf hin, dass es für den Bürger wichtig sein, dass neue Anregungen
aufgenommen werden und bei der Konkretisierung von Lösungsvorschlägen die
Möglichkeit der Revidierbarkeit gegeben sei.
Die
Vertreter des Magistrates verwiesen darauf, dass dies auch in Marburg bei
unterschiedlichen Projekten bereits geschehen sei. So wurde u. a. die
Lahn-Renaturierung gestoppt, ein Begrünungskonzept am Richtsberg nicht gewollt
und Wassergräben in Weidenhausen verhindert.
In einem Resümee verwies der Moderator auf die unterschiedlich vorgeschlagenen Partizipationsmodelle (Planungszelle, Bürgerbefragung u. a. m.). Grundsätzlich sei für die Bürgerbeteiligung bei Stadtentwicklungsprojekten die Offenheit der Planung immer wichtig, da es hier in der Regel um eine positive Zukunftsgestaltung handelt.
Resultierend
aus den Empfehlungen des Teams der Universität (s. Anlage) werden die 6
nachfolgenden Leitsätze als Maßgabe für die zukünftige
Bürgerbeteiligung bei der Stadtentwicklungsplanung formuliert:
- Bei
zukünftigen Stadtentwicklungs- und Planungsprojekten sollen projektbezogen
neue Beteiligungsmöglichkeiten und – formen genutzt werden.
- Bei
zukünftigen umfangreichen Planungsprojekten, wie z. B. „Sanierung
Nordstadt“, sollen die bisherigen Beteiligungsformen (Bürgerversammlungen,
Workshops u. a. m) „bestätigt“ und vertieft werden.
- Gemäß
den Gesprächsergebnissen und Bürgerwünschen der Veranstaltungen, soll für
zukünftige städtebauliche Projekte angestrebt werden, dass bereits vor dem
formalen Aufstellungsbeschlüssen ohne Vorentwurfskonzepte, z. B. in
öffentlichen Ortsbeiratssitzungen, die Planungsproblematik und mögliche
Optionen dargelegt werden. Neben den Mitgliedern des Ortsbeirates und den
Bürgern sollen die Politiker bereits auch an diesen ersten Vorgesprächen
teilnehmen.
- Das
formale Bauleitplanverfahren soll um einen informellen Schritt, so wie es
viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen praktizieren, um den
„Entwurfsbeschluss“ erweitert werden. Dies bedeutet, dass Magistrat und
Bauausschuss den Vorentwurf beraten und für die Bürger- und Trägeranhörung
freigeben. Somit besteht für die Politik frühzeitig die Möglichkeit, dass
entsprechende Alternativen entwickelt werden oder auch mit
unterschiedlichsten Planvarianten die Bürger- und Trägerbeteiligung
durchgeführt werden kann.
- Für
spezielle Sonderplanungen, wie z. B. die Rahmenplanung für einen
Stadtteil, wird angeregt, das Instrument Planungszelle
(Bürgergutachten) zu nutzen. Da dieses Beteiligungsverfahren sehr
aufwendig und kostspielig ist, müssen für eine solche Projektbegleitung
frühzeitig entsprechende Haushaltsmittel eingestellt werden. So hat der FD
61.1 für den Haushalt 2004 ein Projekt „Zukunftswerkstatt/Rahmenplanung
Ockershausen“ ein Volumen von 20 000,00 Euro angemeldet.
Im Zuge der weiteren Darstellung der Stadt Marburg im Internet soll versucht werden, wichtige Stadtplanungsprojekte (wie z. B. das Umfeld der Elisabethkirche) durch eine multimediale Unterstützung entsprechend zu präsentieren. Im Zuge der weiteren Bearbeitung der Bauleitplanung mit Hilfe des GIS bzw. CAD muss geprüft werden, inwiefern auch diese Pläne in das Netz eingestellt werden können und so die Bürger auch Online Auskünfte über bestehendes Planungsrecht einholen können.
Zusammenfassend wird nochmals darauf verwiesen, dass es keine allgemeingültige Handlungsanweisung für bestimmte Formen der Bürgerbeteiligung gibt, sondern dass immer objektbezogen in Abstimmung mit Politik und den Beteiligten eine angemessene Beteiligungsform gefunden werden muss. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf aktuelle oder kürzlich abgeschlossene Städtebauprojekte, wo unterschiedliche Mitwirkungsmöglichkeiten praktiziert worden sind. So ist z. B. bei der Rahmenplanung Marbach die Zusammenarbeit mit dem Ortsbeirat intensiviert worden; bei den Projekten ZSP und Nordstadt lief die Beteiligung über Workshops; bei Bebauungsplänen wie Fronhof und Gewerbegebiet Michelbach-Süd ist frühzeitig der Gestaltungsbeirat eingeschaltet worden und bei der Dorferneuerungsplanung Michelbach hat über einen längeren Zeitraum ein Arbeitskreis die Projektplanung maßgeblich gesteuert.
Dietrich Möller
Oberbürgermeister
Anlagen