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Ratsinformation
Antrag der SPD-Fraktion - VO/0376/2001
Grunddaten
- Betreff:
-
Antrag der SPD-Fraktion betr. Zwangsarbeit
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Antrag der SPD-Fraktion
- Federführend:
- 10.1 - Allgemeiner Service
- Bearbeiter*in:
- Norbert Wagner
- Beteiligt:
- 10.1 - Allgemeiner Service
- Antragsteller*in:
- Sozialdemokratische Partei Deutschlands
- Verfasser*in:
- Wagner
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
---|---|---|---|---|
●
Erledigt
|
|
Haupt- und Finanzausschuss
|
Vorberatung
|
|
●
Erledigt
|
|
Stadtverordnetenversammlung
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Entscheidung
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|
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28.09.2001
|
Beschlussvorschlag
Die
Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
·
Die
Stadt Marburg erkennt an, dass den Zwangsarbeitern/innen (Zivilisten/innen wie
Kriegsgefangenen), die während der NS-Diktatur in Marburg und den heute zur
Stadt Marburg gehörenden Stadtteilen eingesetzt wurden, Unrecht geschehen ist.
·
Zur
qualitativen und quantitativen Erforschung von Zwangsarbeit während der NS-Zeit
auf dem Gebiet der heutigen Stadt Marburg werden Sach- und Personalkosten für
eine wissenschaftliche Angestellte (BAT III, Vollzeit) für den Zeitraum von
zwei Jahren sowie für eine ABM-Stelle zur Verfügung gestellt.
·
Die
Ergebnisse sollen in einer detaillierten Gesamtdarstellung in den Stadtschriften
veröffentlicht und die zusammengetragenen Materialien allgemein zugänglich
gemacht werden.
·
Der
Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 27. Oktober 2000 über einen
öffentlichen Aufruf an die Marburger Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen
und Unternehmen bezüglich mündlicher und gegenständlicher Überlieferungen zur
Zwangsarbeit in Marburg soll sobald wie möglich umgesetzt werden.
·
Die
Stadt Marburg wird sich bemühen, mit noch lebenden Zwangsarbeiter/innen aus
Ost-, Süd- und Westeuropa in Kontakt zu treten, um
-
Berichte von
Betroffenen aus ihrer Zeit in Marburg zu erbitten,
-
ihnen eine Einladung zu
einem Besuch in der Stadt Marburg vorschlagen zu können sowie
-
Möglichkeiten im Rahmen
persönlicher Hilfeleistungen (Medikamente, Heilmittel, Verbesserungen der
Lebensbedingungen, ggf. auch monetäre Unterstützung etc.) in Erfahrung zu
bringen.
·
Die
Stadt Marburg fordert Marburger Unternehmen, die während des zweiten
Weltkrieges Zwangsarbeiter/innen eingesetzt hatten, auf – falls noch nicht
geschehen – dem Entschädigungsfonds der Bundesstiftung „Erinnerung,
Verantwortung, Zukunft“ (Stiftungsgesetz in Kraft getreten am 12.8.2000 – BGBl.
I S. 1263) beizutreten.
Zur Unterstützung und
Koordinierung der Forschungen zur Zwangsarbeit in Marburg soll für die Dauer
der Maßnahmen ein Beirat unter der Leitung des Stadtverordnetenvorstehers
gebildet werden, dem neben Vertretern des Stadtparlaments, dem Stadtarchivar
und der Geschichtswerkstatt Marburg e.V. nach Möglichkeit auch die Universität
angehören soll.
Sachverhalt
Begründung:
Durch einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom März 2000
wurden Mittel bereitgestellt, um die Erforschung des Themas „Zwangsarbeit von
Ausländern in Marburg” zu ermöglichen. Die Geschichtswerkstatt Marburg suchte
in Stadtarchiv, Staatsarchiv und mehreren städtischen Ämtern in Akten und
Karteien nach Namen und Daten von Zwangsarbeitern. Erste Ergebnisse wurden in
einer Datenbank zusammengetragen. und in einer Bürgerversammlung vorgestellt.
Eine Broschüre, zu der auch die Philipps-Universität einen Beitrag beisteuerte,
erschien in einer Kleinauflage und stieß auf großes Interesse.
Die Arbeit der Geschichtswerkstatt konnte nur einen ersten Einblick in
den Komplex Zwangsarbeit geben. Viele Archivalien des Stadtarchivs und des
Staatsarchivs sind nur überschlägig ausgewertet. Unberücksichtigt blieben
bislang die Unterlagen anderer Organisationen (u.a. Verwaltungsdienststellen,
Amtsgericht, Militärgericht, Allgemeine Ortskrankenkasse, Stadtwerke,
Industrie- und Handwerksbetriebe, Industrie- und Handelskammer, Diakonie,
Universität, Internationaler Suchdienst und der Gedenkstätte Breitenau). Auch
der schon erfasste Namenbestand muss noch einmal bearbeitet werden (Kontrolle
der Eintragungen; Plausibilitätsprüfungen, um Doppelungen auszuschließen;
Identifikation von Orten und Zuordnung zu modernen Verwaltungseinheiten). Die
Fotosammlungen wären systematisch durchzusehen.
Zeitzeugen sind noch nicht systematisch ermittelt und befragt. Zu diesen
zählen an erster Stelle die Opfer. Bevor überlebende Zwangsarbeiter befragt
werden können, müssen sie ausfindig gemacht werden (s.u.).
Ein öffentlicher Aufruf des Stadtverordnetenvorstehers
soll die Marburger Bevölkerung bitten, persönliche Dokumente wie Fotos, Briefe
und Schriftstücke dem Stadtarchiv zur Verfügung zu stellen und durch die
Schilderung eigenen Erlebens neue Gesichtspunkte über die damaligen
Geschehnisse beizutragen. Dazu gehört der Aufruf an Marburger Institutionen und
Firmen, einen Beitrag zur Erforschung der eigenen Geschichte zu leisten bzw.
Materialien zur Verfügung zu stellen.
Nur eine gründliche wissenschaftliche Erforschung der
Lebens- und Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeiter/innen in Marburg kann die
bisherige Datenbasis verbessern und diesen Teil der Marburger Geschichte
aufhellen. Es sollten dabei alle Formen von Zwangsarbeit berücksichtigt werden,
also auch
diejenigen, die das Stiftungsgesetz für den
Leistungsbezug nicht vorsieht.
Die Darstellung des Komplexes Zwangsarbeit soll in eine umfassende
wissenschaftliche Publikation münden. Hier wären nicht nur Zahlen zu nennen
sowie Daten und Wohn- und Einsatzorte zu belegen, sondern es müßte das
institutionelle und organisatorische System der Zwangsarbeit in Lagern und
Betrieben geschildert werden. Die Darstellung der Lebens- und
Arbeitsbedingungen, soweit sie noch rekonstruierbar sind, und die Erfahrungen
Marburger Bürger wären zu thematisieren. Bildmaterial ist eine wichtige
Ergänzung des Textes.
Nur wenige der betroffenen Personen haben sich bisher direkt an die
Stadt Marburg gewandt. Von den bislang namentlich bekannten ca. 1700
Zwangsarbeitern ist uns z.Zt. bei drei Personen der jetzige Aufenthaltsort
bekannt. Auf Initiative von Walter Bernsdorff (Geschichtswerkstatt Marburg) ist
ein persönlicher Kontakt zur polnischen Stiftung in Posen geknüpft worden.
Dieser Stiftung wie auch der Hauptstelle in Warschau hat das Stadtarchiv eine
von der Geschichtswerkstatt erarbeitete Liste aller 272 namentlich bekannter
polnischen Zwangsarbeiter einschließlich der regionalen Zuordnung der
Herkunftsorte übersandt. Wolfgang Form (Geschichtswerkstatt Marburg) erhielt
von der russischen Zwangsarbeiterorganisation „Memorial” (Moskau) eine Liste
von mehr als 60 Zwangsarbeitern aus Stadt und Landkreis Marburg mit den
heutigen Wohnadressen übermittelt. Demnach besteht berechtigte Hoffnung, daß
noch nicht alle ehemaligen Zwangsarbeiter/innen verstorben sind. Die
Kontaktaufnahme mit derartigen Organisationen in u.a. der Ukraine, Rußland,
Frankreich den BeNeLux-Staaten und Italien ist aber ein Weg, etwas über
die Gegenwart der ehemaligen Zwangsarbeiter zu erfahren.
Bezüglich des Entschädigungsfonds beschloß das Präsidium des Deutschen
Städtetages am 20. September 2000: „(Es) empfiehlt das Präsidium den
Mitgliedsstädten, die einen Beitrag für ehemalige Zwangsarbeiter leisten
wollen, weiterhin vor allem Erinnerungs- und Bildungsarbeit zur Geschichte der
Zwangsarbeit in Deutschland zu betreiben und die Betreffenden insbesondere beim
Nachweis von Zwangsarbeit zu unterstützen. Finanzielle Mittel sollten vorrangig
zu gezielten humanitären Hilfsmaßnahmen, insbesondere zu Besuchsprogrammen vor
Ort, verwandt werden.“
Vor dem Hintergrund der Anerkennung der moralischen
Schuld auch der Stadt Marburg soll der Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern
einerseits die Möglichkeiten zu einem Besuch in Marburg unter anderen
Bedingungen und andererseits notwendige Erleichterung der heutigen Situation
der ehemaligen Zwangsarbeiter sicherstellen. So wird die Anerkennung der
moralischen Schuld glaubwürdig und transparent. So kann darüber hinaus ein
aktiver Ansatz für das Zusammenwachsen Europas über die Grenzen der
Europäischen Union hinaus verfolgt werden.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß sich nicht
nur die Stadt Marburg zu ihrer Geschichte bekennt, sondern auch nach
Möglichkeiten sucht, auch diejenigen Institutionen und Unternehmen zur
finanziellen Unterstützung des Entschädigungsfonds zu bewegen, die sich bisher
nicht hierzu entschlossen haben.
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