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Ratsinformation
Antrag der Fraktion Marburger Linke - VO/0570/2009
Grunddaten
- Betreff:
-
Antrag der Fraktion Marburger Linke betr. Qualitätsstandards für Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II umsetzen.
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Antrag der Fraktion Marburger Linke
- Federführend:
- 50 - Soziale Leistungen
- Bearbeiter*in:
- Norbert Wagner
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Ausschuss für Soziales, Jugend und Gleichstellung
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Vorberatung
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16.09.2009
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17.03.2010
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Erledigt
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Magistrat
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Kenntnisnahme
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Erledigt
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Stadtverordnetenversammlung
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Entscheidung
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25.09.2009
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26.03.2010
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Beschlussvorschlag
Beschluss:
1)
Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg (StVVM) erneuert
ihren Beschluss vom 15. Oktober 2004 „Qualitätsstandards für
Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II“ (VO/0675/2004. Sie fordert den Magistrat
der Stadt Marburg auf, diesen Beschluss konsequent umzusetzen
2)
Die StVVM fordert den Magistrat auf, in enger Zusammenarbeit mit
dem Kreisjobcenter (KJC), einen Weg zu finden, möglichst vielen
Langzeiterwerbslosen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit mit
ortsüblichen Tariflöhnen bei der Stadt Marburg oder den Tochtergesellschaften
der Stadt zu vermitteln.
3)
Der Magistrat wird
beauftragt, in der Gesellschafterversammlung der Praxis gGmbh darauf zu
drängen, dass die Geschäftsleitung der Praxis gGmbH die beschlossenen
Qualitätskriterien für Arbeitsgelegenheiten einhält.
4)
Darüber hinaus soll der Magistrat auf die Leitung KJC einwirken,
dass nur noch Arbeitsgelegenheiten eingerichtet werden, die den beschlossenen
Qualitätskriterien genügen.
5)
Die StVVM appelliert noch einmal nachdrücklich an die
gemeinnützigen Träger, die Qualitätskriterien einzuhalten. Die StVV fordert den
Magistrat auf, im nächsten Haushalt die städtischen Zuschüsse für gemeinnützige
Träger zu erhöhen, damit die Einhaltung des Beschlusses der StVV von diesen
gewährleistet werden kann.
Sachverhalt
Begründung
A)
Die
Stadtverordnetenversammlung fasste am 15. Oktober 2004 mit Ja-Stimmen aus SPD,
Bündnis 90/DIE GRÜNEN, PDS/ML, FDP, BfM und MBL gegen die Stimmen der CDU-Fraktion und
bei einer Enthaltung aus der CDU-Fraktion folgenden Beschluss:
Die Stadtverordnetenversammlung sieht in der Einrichtung von
„Arbeitsgelegenheiten“ kein Mittel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, jedoch
eine Möglichkeit, Arbeitslose bei der Eingliederung in das Erwerbsleben zu
unterstützen.
Sie sieht die Gefahr, dass dadurch bestehende Arbeitsplätze
ersetzt oder erforderliche nicht eingerichtet werden.
Sie fordert den Magistrat und die stadteigenen Unternehmen auf,
solche Arbeitsgelegenheiten nur unter Berücksichtigung folgender
Qualitätsstandards einzurichten:
- Beschäftigte in
Arbeitsgelegenheiten sollen vorher umfassend über ihre Chancen und die vorhandenen
Angebote, über ihre Rechte und Pflichten und über mögliche Alternativen
informiert und ggf. beraten werden.
- Für Arbeitsgelegenheiten
infrage kommende Personen sollen die Möglichkeit haben, eine solche
Maßnahme abzulehnen (Freiwilligkeit). Sie sollen aber darüber hinaus die
Möglichkeit haben, sich Art und Umfang der Tätigkeit in einer
Arbeitsgelegenheit selbst wählen zu können. Damit sie eine Wahlmöglichkeit
haben, sollen sie aus einem „Job-Pool“ eine für ihre berufliche
Integration sinnvolle Tätigkeit auswählen können.
- Es muss sichergestellt sein,
dass dadurch keine bezahlten Arbeitsplätze verdrängt werden. Dabei kann es
sich nur um Arbeiten handeln, die derzeit und in absehbarer Zeit nicht
erledigt werden.
- Die Arbeiten können der Qualitätsverbesserung
insbesondere in sozialen, kulturellen, ökologischen und infrastrukturellen
Bereichen dienen. Eine Verdrängung / Übernahme von bisher im Rahmen der
öffentlichen Verwaltung und / oder durch die Vergabe
privatwirtschaftlicher Aufträge durchgeführten Arbeiten ist
auszuschließen.
- Die Beschäftigten erhalten eine
Qualifizierung durch die ausgeübte – in der Regel angeleitete – Tätigkeit.
Sie haben weiterhin einen Anspruch auf zusätzliche Qualifizierung zur
Vorbereitung auf eine Stelle am Allgemeinen Arbeitsmarkt.
- Den Beschäftigen werden
sinnstiftende Tätigkeiten angeboten, die gesellschaftlich notwendig und im
öffentlichen Interesse sind. Eine Arbeitsgelegenheit besteht aus einer
qualifizierten Stellenbeschreibung die ggf. ausgeschrieben werden kann
(siehe Freiwilligkeit/Wahlmöglichkeit). Darüber hinaus besteht ein
Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis.
- Die Arbeitnehmerrechte der
Belegschaft sind zu berücksichtigen. Arbeitsgelegenheiten dürfen nur mit
Zustimmung des Personalrates/Betriebsrat (bei städtischen Gesellschaften)
eingerichtet werden. Die Beschäftigten in Arbeitsgelegenheiten sollen
durch den Personal- / Betriebsrat vertreten werden können. Hierzu sind
entsprechende Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen abzuschließen.
7. Die Stadtverordnetenversammlung
bittet gemeinnützige Träger von Arbeitsgelegenheiten, diese Qualitätsstandards
analog zu berücksichtigen.
B)
Der
offene Brief von ver.di Mittelhessen an den Oberbürgermeister, den Bürgermeister,
den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg belegt
beispielhaft, dass die Befürchtungen der Stadtverordneten vom Oktober 2004 wahr
wurden. Ein-Euro-Jobber leeren städtische Papierkörbe, obwohl die
Stadtreinigung eine Pflichtaufgabe der Kommune ist. Von „Zusätzlichkeit“ der
Arbeit keine Spur und somit eindeutig rechtswidrig. Auch das Betreiben von
Kantinen öffentlicher Einrichtungen, die Ausgabe und Lieferung von Schulessen
oder das Betreiben einer Vereinsgaststätte sind von den gesetzlichen
Rahmenbedingungen nicht gedeckt.
Die
Antwort von Bürgermeister Dr. Kahle auf die Kleine Anfrage der Stadtverordneten
Astrid Kolter (Nr. 18 2/2009) in der StVV vom 27. Februar in diesem Jahr zeigt
die rechtswidrige Praxis in Marburg eindeutig. Auf die Frage, ob bei der
Renovierung der Fassade der Astrid-Lindgren-Schule in der zweiten Jahreshälfte
2008 Arbeitskräfte in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen
(AME) eingesetzt wurden, sagte Dr. Kahle ausweislich der Niederschrift der StVV
wörtlich: „Ja, durch Beschäftigte der Praxis GmbH (2.
Arbeitsmarkt) für Abdichtungs- und Maurerarbeiten von Block A
(Verwaltungstrakt). Bei den durchgeführten Arbeiten lag keine
Zusätzlichkeit vor, es waren vorgesehene notwendige Sanierungsarbeiten. Den
Auftrag hätten auch andere Firmen ausführen können.“
Die Bauarbeiten sind definitiv rechtswidrig und
mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Oktober 2004 nicht
vereinbar. Zudem irrt Dr. Kahle, wenn er im Zusammenhang mit Arbeitsgelegenheiten
vom zweiten Arbeitsmarkt spricht. Der zweite Arbeitsmarkt umfasst staatlich
geförderte Arbeitsplätze, vor allem in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und
Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM). Arbeitsgelegenheiten sind per Definitionem
keine Arbeitsplätze und somit noch nicht einmal dem dritten Arbeitsmarkt
zugeordnet.
C)
Diverse
Studien zeigen, dass die Befürchtungen von Kritikern der Ein-Euro-Jobs
eintreten. Auf breiter Front verdrängen Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze.
Der DGB hat in seinem „Arbeitsmarkt aktuell“ vom Mai 2009 die Ergebnisse
zusammengefasst und der Öffentlichkeit präsentiert. Auch der Bundesrechnungshof
(BRH) kritisiert immer wieder die Ein-Euro-Jobs. Im Prüfbericht von November
2008 schreibt er:
a)
Das
Ziel eines rechtskonformen, zielgerichteten und wirtschaftlichen Einsatzes
dieses Instrumentes ist auch in den letzten Jahren nicht erreicht worden.
b)
Zwei
Drittel der geprüften Maßnahmen erfüllten nicht die gesetzlichen
Fördervoraussetzungen. In acht und zehn beanstandeten Fällen war die Tätigkeit
nicht zusätzlich
c)
In
der Hälfte der beanstandeten Fälle stand die Tätigkeit nicht im öffentlichen
Interesse.
d)
Die
Arbeitsgelegenheiten blieben aus Sicht des BRH für drei von vier
Hilfebedürftigen weitgehend wirkungslos. Messbare Integrationsfortschritte
waren nicht erkennbar
e)
Den
Grundsicherungsstellen war häufig – insbesondere bei teilnehmerstarken
Maßnahmen – nicht bekannt, welche konkreten Tätigkeiten die Hilfebedürftigen
ausübten.
D)
Dieser Antrag richtet sich nicht gegen die Mitarbeiter
der Beschäftigungsgesellschaften und die erwerblosen Menschen. Den
Beschäftigungsgesellschaften wurde mit der Hartz-IV-Gesetzgebung der Boden
unter den Füßen weggezogen. Um den Erhalt der Beschäftigungsgesellschaften zu
sichern, ist es notwendig die anderen Instrumente der Arbeitsförderung
einzusetzen. Arbeitsplätze in ABM, SAM und reguläre Arbeitsplätze im
öffentlichen Bereich sind die sinnvollen Alternativen zu den
Arbeitsgelegenheiten. Dies ist nicht zum Nulltarif zu haben. Daher ist es
zwingend erforderlich, ausreichende Finanzmittel in den nächsten Haushalt
einzustellen. Auch die Langzeiterwerbslosen werden davon profitieren, wenn sie
in Zukunft wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse eingehen
können und sich nicht mit Regelsatz und dem kleinen Aufgeld einer
Arbeitsgelegenheit abfinden müssen. Zudem werden die
Beschäftigungsgesellschaften aus der Zwickmühle befreit, in einer juristischen
Grauzone oder gar rechtswidrig handeln zu müssen, wenn sie ihre Arbeit im
Bereich Qualifizierung und Weiterbildung fortsetzen wollen.
E)
Die
beste Art von kommunaler Arbeitsförderung ist die Schaffung von
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Die Stadt Marburg steht in
der Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass in der Verwaltung, nicht Kostendeckung
um jeden Preis und bei den städtischen Gesellschaften und bei Unternehmen an
denen die Stadt Marburg beteiligt ist, nicht die Gewinnmaximierung, sondern die
Gemeinwohlorientierung im Vordergrund steht.
Das neoliberale Paradigma von Personalabbau um jeden
Preis, des Outsourcing und der Privatisierung ist zu durchbrechen. Die
Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse in allen Bereichen
kommunalpolitischen Handelns zahlt sich für die direkt betroffenen
ArbeitnehmerInnen in Euro und Cent aus, für die übrigen BürgerInnen der Stadt
durch eine intakte Infrastruktur und herausragende Leistungen der öffentlichen
Daseinsvorsorge.
Gez.
Halise
Adsan
Georg Fülberth
Astrid Kolter
Birgit Schäfer
Dr. Michael Weber
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