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Ratsinformation

ALLRIS - Vorlage

Antrag der Fraktion Marburger Linke - VO/0570/2009

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

 

Beschluss:

 

1)      Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg (StVVM) erneuert ihren Beschluss vom 15. Oktober 2004 „Qualitätsstandards für Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II“ (VO/0675/2004. Sie fordert den Magistrat der Stadt Marburg auf, diesen Beschluss konsequent umzusetzen

2)      Die StVVM fordert den Magistrat auf, in enger Zusammenarbeit mit dem Kreisjobcenter (KJC), einen Weg zu finden, möglichst vielen Langzeiterwerbslosen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit mit ortsüblichen Tariflöhnen bei der Stadt Marburg oder den Tochtergesellschaften der Stadt zu vermitteln.

 

3)      Der Magistrat wird beauftragt, in der Gesellschafterversammlung der Praxis gGmbh darauf zu drängen, dass die Geschäftsleitung der Praxis gGmbH die beschlossenen Qualitätskriterien für Arbeitsgelegenheiten einhält.

4)      Darüber hinaus soll der Magistrat auf die Leitung KJC einwirken, dass nur noch Arbeitsgelegenheiten eingerichtet werden, die den beschlossenen Qualitätskriterien genügen.

 

5)      Die StVVM appelliert noch einmal nachdrücklich an die gemeinnützigen Träger, die Qualitätskriterien einzuhalten. Die StVV fordert den Magistrat auf, im nächsten Haushalt die städtischen Zuschüsse für gemeinnützige Träger zu erhöhen, damit die Einhaltung des Beschlusses der StVV von diesen gewährleistet werden kann.

 

 

 

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Sachverhalt

 

 

Begründung

A)

Die Stadtverordnetenversammlung fasste am 15. Oktober 2004 mit Ja-Stimmen aus SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, PDS/ML, FDP, BfM und MBL gegen die Stimmen der CDU-Fraktion und bei einer Enthaltung aus der CDU-Fraktion folgenden Beschluss:

Die Stadtverordnetenversammlung sieht in der Einrichtung von „Arbeitsgelegenheiten“ kein Mittel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, jedoch eine Möglichkeit, Arbeitslose bei der Eingliederung in das Erwerbsleben zu unterstützen.

Sie sieht die Gefahr, dass dadurch bestehende Arbeitsplätze ersetzt oder erforderliche nicht eingerichtet werden.

Sie fordert den Magistrat und die stadteigenen Unternehmen auf, solche Arbeitsgelegenheiten nur unter Berücksichtigung folgender Qualitätsstandards einzurichten:

  1. Beschäftigte in Arbeitsgelegenheiten sollen vorher umfassend über ihre Chancen und die vorhandenen Angebote, über ihre Rechte und Pflichten und über mögliche Alternativen informiert und ggf. beraten werden.
  1. Für Arbeitsgelegenheiten infrage kommende Personen sollen die Möglichkeit haben, eine solche Maßnahme abzulehnen (Freiwilligkeit). Sie sollen aber darüber hinaus die Möglichkeit haben, sich Art und Umfang der Tätigkeit in einer Arbeitsgelegenheit selbst wählen zu können. Damit sie eine Wahlmöglichkeit haben, sollen sie aus einem „Job-Pool“ eine für ihre berufliche Integration sinnvolle Tätigkeit auswählen können.
  1. Es muss sichergestellt sein, dass dadurch keine bezahlten Arbeitsplätze verdrängt werden. Dabei kann es sich nur um Arbeiten handeln, die derzeit und in absehbarer Zeit nicht erledigt werden.
  1. Die Arbeiten können der Qualitätsverbesserung insbesondere in sozialen, kulturellen, ökologischen und infrastrukturellen Bereichen dienen. Eine Verdrängung / Übernahme von bisher im Rahmen der öffentlichen Verwaltung und / oder durch die Vergabe privatwirtschaftlicher Aufträge durchgeführten Arbeiten ist auszuschließen.
  1. Die Beschäftigten erhalten eine Qualifizierung durch die ausgeübte – in der Regel angeleitete – Tätigkeit. Sie haben weiterhin einen Anspruch auf zusätzliche Qualifizierung zur Vorbereitung auf eine Stelle am Allgemeinen Arbeitsmarkt.
  1. Den Beschäftigen werden sinnstiftende Tätigkeiten angeboten, die gesellschaftlich notwendig und im öffentlichen Interesse sind. Eine Arbeitsgelegenheit besteht aus einer qualifizierten Stellenbeschreibung die ggf. ausgeschrieben werden kann (siehe Freiwilligkeit/Wahlmöglichkeit). Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis.
  1. Die Arbeitnehmerrechte der Belegschaft sind zu berücksichtigen. Arbeitsgelegenheiten dürfen nur mit Zustimmung des Personalrates/Betriebsrat (bei städtischen Gesellschaften) eingerichtet werden. Die Beschäftigten in Arbeitsgelegenheiten sollen durch den Personal- / Betriebsrat vertreten werden können. Hierzu sind entsprechende Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen abzuschließen.

7.   Die Stadtverordnetenversammlung bittet gemeinnützige Träger von Arbeitsgelegenheiten, diese Qualitätsstandards analog zu berücksichtigen.

B)

Der offene Brief von ver.di Mittelhessen an den Oberbürgermeister, den Bürgermeister, den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg belegt beispielhaft, dass die Befürchtungen der Stadtverordneten vom Oktober 2004 wahr wurden. Ein-Euro-Jobber leeren städtische Papierkörbe, obwohl die Stadtreinigung eine Pflichtaufgabe der Kommune ist. Von „Zusätzlichkeit“ der Arbeit keine Spur und somit eindeutig rechtswidrig. Auch das Betreiben von Kantinen öffentlicher Einrichtungen, die Ausgabe und Lieferung von Schulessen oder das Betreiben einer Vereinsgaststätte sind von den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gedeckt.

 

Die Antwort von Bürgermeister Dr. Kahle auf die Kleine Anfrage der Stadtverordneten Astrid Kolter (Nr. 18 2/2009) in der StVV vom 27. Februar in diesem Jahr zeigt die rechtswidrige Praxis in Marburg eindeutig. Auf die Frage, ob bei der Renovierung der Fassade der Astrid-Lindgren-Schule in der zweiten Jahreshälfte 2008 Arbeitskräfte in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen (AME) eingesetzt wurden, sagte Dr. Kahle ausweislich der Niederschrift der StVV wörtlich: „Ja, durch Beschäftigte der Praxis GmbH (2. Arbeitsmarkt) für Abdichtungs- und Maurerarbeiten von Block A (Verwaltungstrakt). Bei den durchgeführten Arbeiten lag keine Zusätzlichkeit vor, es waren vorgesehene notwendige Sanierungsarbeiten. Den Auftrag hätten auch andere Firmen ausführen können.“

 

Die Bauarbeiten sind definitiv rechtswidrig und mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Oktober 2004 nicht vereinbar. Zudem irrt Dr. Kahle, wenn er im Zusammenhang mit Arbeitsgelegenheiten vom zweiten Arbeitsmarkt spricht. Der zweite Arbeitsmarkt umfasst staatlich geförderte Arbeitsplätze, vor allem in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM). Arbeitsgelegenheiten sind per Definitionem keine Arbeitsplätze und somit noch nicht einmal dem dritten Arbeitsmarkt zugeordnet.

 

 

C)

Diverse Studien zeigen, dass die Befürchtungen von Kritikern der Ein-Euro-Jobs eintreten. Auf breiter Front verdrängen Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze. Der DGB hat in seinem „Arbeitsmarkt aktuell“ vom Mai 2009 die Ergebnisse zusammengefasst und der Öffentlichkeit präsentiert. Auch der Bundesrechnungshof (BRH) kritisiert immer wieder die Ein-Euro-Jobs. Im Prüfbericht von November 2008 schreibt er: 

 

a)      Das Ziel eines rechtskonformen, zielgerichteten und wirtschaftlichen Einsatzes dieses Instrumentes ist auch in den letzten Jahren nicht erreicht worden.

b)      Zwei Drittel der geprüften Maßnahmen erfüllten nicht die gesetzlichen Fördervoraussetzungen. In acht und zehn beanstandeten Fällen war die Tätigkeit nicht zusätzlich

c)      In der Hälfte der beanstandeten Fälle stand die Tätigkeit nicht im öffentlichen Interesse.

d)      Die Arbeitsgelegenheiten blieben aus Sicht des BRH für drei von vier Hilfebedürftigen weitgehend wirkungslos. Messbare Integrationsfortschritte waren nicht erkennbar

e)      Den Grundsicherungsstellen war häufig – insbesondere bei teilnehmerstarken Maßnahmen – nicht bekannt, welche konkreten Tätigkeiten die Hilfebedürftigen ausübten.

 

 

D)

Dieser Antrag richtet sich nicht gegen die Mitarbeiter der Beschäftigungsgesellschaften und die erwerblosen Menschen. Den Beschäftigungsgesellschaften wurde mit der Hartz-IV-Gesetzgebung der Boden unter den Füßen weggezogen. Um den Erhalt der Beschäftigungsgesellschaften zu sichern, ist es notwendig die anderen Instrumente der Arbeitsförderung einzusetzen. Arbeitsplätze in ABM, SAM und reguläre Arbeitsplätze im öffentlichen Bereich sind die sinnvollen Alternativen zu den Arbeitsgelegenheiten. Dies ist nicht zum Nulltarif zu haben. Daher ist es zwingend erforderlich, ausreichende Finanzmittel in den nächsten Haushalt einzustellen. Auch die Langzeiterwerbslosen werden davon profitieren, wenn sie in Zukunft wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse eingehen können und sich nicht mit Regelsatz und dem kleinen Aufgeld einer Arbeitsgelegenheit abfinden müssen. Zudem werden die Beschäftigungsgesellschaften aus der Zwickmühle befreit, in einer juristischen Grauzone oder gar rechtswidrig handeln zu müssen, wenn sie ihre Arbeit im Bereich Qualifizierung und Weiterbildung fortsetzen wollen.

 

E)

Die beste Art von kommunaler Arbeitsförderung ist die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Die Stadt Marburg steht in der Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass in der Verwaltung, nicht Kostendeckung um jeden Preis und bei den städtischen Gesellschaften und bei Unternehmen an denen die Stadt Marburg beteiligt ist, nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Gemeinwohlorientierung im Vordergrund steht.

 

Das neoliberale Paradigma von Personalabbau um jeden Preis, des Outsourcing und der Privatisierung ist zu durchbrechen. Die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse in allen Bereichen kommunalpolitischen Handelns zahlt sich für die direkt betroffenen ArbeitnehmerInnen in Euro und Cent aus, für die übrigen BürgerInnen der Stadt durch eine intakte Infrastruktur und herausragende Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.

 

 

Gez.

Halise Adsan

Georg Fülberth

Astrid Kolter

Birgit Schäfer

Dr. Michael Weber

 

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